Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schmidt Liest Proust

Schmidt Liest Proust

Titel: Schmidt Liest Proust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Schmidt
Vom Netzwerk:
Mittwoch früh Kind zum Kindergarten, Einkaufen, Joggen, Proust lesen, Proust tippen, Steuererklärungsunterlagen vorsortieren, Kind vom Kindergarten holen, auf den Spielplatz, Trampolin springen, mit Absicht bei Memory verlieren, Seneca »De clementia« vorbereiten. Donnerstag: Kind zum Kindergarten, Proust lesen, Proust tippen, zwei Texte für »Chaussee« schreiben, Latein-Kurs, Auftritt bei »Chaussee«. Freitag: Proust lesen, Proust tippen, Tagesspiegel-Text abgeben, beim Umzug vom Kollegen helfen, Latein für Sonnabend vorbereiten, die eingetroffenen Eltern begrüßen, Text für taz schreiben. Sonnabend: Text für taz durchgehen und abgeben, Latein-Kurs, Essen mit C., Geschenke für alle kaufen, die mir etwas schenken werden, Proust lesen, Proust tippen, zwanzig Seiten Proust kopieren und zu Annett Gröschner bringen, die den Weihnachtstag übernehmen will und das Buch nicht hat.
    Die Entflohene, S. 5–25
    » Wieviel weiter führt das Leiden in die Psychologie hinein als bloße Psychologie! « Aber Psychologen sind ja auch nicht dafür da, einen zu verstehen, sondern einem zu helfen. Immerhin wird hier wieder ein heimliches Motiv des Romans deutlich: eine Leidensinitiation, ohne die Marcel nicht schreiben können wird. Weil er kaum sonstige Probleme hat, wird die Frau zum Schicksal.
    Er versucht es mit Verleugnen, sie wird sowieso zurückkommen, sie will ja sicher nur erreichen, daß er sie heiratet. Der Vorgang beweise wieder, wie wenig man sein Herz mit dem Verstand durchdringen könne. Gestern dachte er ja noch, ohne Albertine auskommen zu können. Aber der Schmerz belehrt ihn eines Besseren. » Bisher hatte ich in ihr vor allem eine zerstörerische Macht gesehen, wie sie alle Originalität und sogar das Bewußtsein von unseren Wahrnehmungen in uns unterdrückt. « Also eine Anti-Muse, wie Beethovens Frau bei Monty Python, die in dem Moment, als ihm das Motiv für die 5. Sinfonie einfällt, mit dem Staubsauger ins Zimmer platzt, und hinterher hat er das Motiv vergessen.
    Wie eine Selbstmörderin hat Albertine einen Abschiedsbrief geschrieben, und dieser läßt eigentlich keinen Raum für Zweifel an ihrer Entschlossenheit, aber Marcel denkt immer noch, daß sie nichts von alledem wirklich ernst meint. Er wird die Hochzeit in die Wege leiten, er wird ihr noch heute morgen eine Jacht und einen Rolls-Royce bestellen. Außerdem wird sie » fern von mir Vergleiche ziehen, mich doch besser finden und bei der Rückkehr zu mir ganz zufrieden sein «. Heirat würde dann natürlich auch den Verzicht auf Venedig bedeuten (wohin man anscheinend zu zweit nicht fahren kann).
    Es ist so, daß » Männer, die von mehreren Frauen verlassen worden sind, es eben wegen ihres Charakters und immer auf Grund ganz gleicher Reaktionen wurden, die im voraus berechenbar sind, da jeder seine Art betrogen zu werden so wie seine spezifische Art sich zu erkälten hat «. Ich muß sagen, ich habe viele Arten, mich zu erkälten, im Grunde funktioniert bei mir jede. Entsprechend bin ich auch nicht pingelig bei den Arten, verlassen zu werden, solange es nicht am Abend vor dem Berlin-Marathon über SMS geschieht wie beim vorletzten Mal.
    Immer noch liegt er im Bett, aber man muß Pläne schmieden, um das Leiden zu lindern. » Ich stellte mich also wieder auf die Füße «, was schon ein existenzieller Vorgang ist, der viel zu selten gewürdigt wird. Sich auf die Füße zu stellen ist doch eine Handlung von derselben Kategorie, wie ein Flugzeug zu starten oder in See zu stechen. Man wird ein anderes Wesen, vom stationären zum mobilen Gehirn. Und so steht er nun auf seinen Füßen, aber von überall droht Gefahr, denn noch erinnert ihn alles in seinem Zimmer an Albertine. Er muß es vermeiden, ihren Stuhl anzusehen, das Pianola, alle ihre Dinge. Ohne Pause spricht er ihren Namen, eigentlich existiert sie nur in Form dieses Namens, der das Gehirn nie verläßt: » Hätte ich laut gedacht, so hätte ich ihn unaufhörlich vor mich hingesagt, und mein Geschwätz wäre ebenso einförmig und engstirnig gewesen, als sei ich in einen Vogel gleich jenem der Fabel verwandelt, dessen Ruf unaufhörlich den Namen derjenigen wiederholt, die er vordem als Mensch geliebt. «
    Verlorene Praxis:
    – Mit Vernunft ihren Regungen nachgehen.
    146 . Mi, 20.12., Berlin
    Niemand dankt es mir, daß ich das Leben durchschaue und deshalb nichts für die Welt tun könnte, ohne mir dabei lächerlich vorzukommen. Der Humoralpathologie zufolge habe ich zuviel schwarze Galle

Weitere Kostenlose Bücher