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Schmidt Liest Proust

Schmidt Liest Proust

Titel: Schmidt Liest Proust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Schmidt
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»Oedipus Wrecks«, wo Woody Allen ganz selbstvergessen an einem fettriefenden Hühnerschenkel riecht, weil er ihn an seine Geliebte erinnert.
    Immer noch liegt er im Bett, und der Benzingeruch leitet ihn weiter zu einem Tagtraum von Venedig. Venedig! Wo das in Arme zerteilte Meer » eine aufs höchste entwickelte städtische Zivilisation umschlang, die sich aber, hinter ihrem azurblauen Gürtel isoliert, völlig abseits entwickelt «. Wenn das kein Selbstporträt des Autors als Stadt ist. » Jetzt, da das Leben mit Albertine wieder möglich geworden war, fühlte ich, daß mir daraus nur Unglück erwachsen könnte, da sie mich nicht liebte: besser war es, sich in der milden Süße ihrer Einwilligung von ihr zu trennen «. Ja, er geht so weit, nach Françoise zu schellen, die ihm einen Reiseführer von Venedig kaufen soll. Aber was erfährt er von dieser? Weil er den ganzen Morgen von Venedig geträumt hat, hat er nicht mitbekommen, daß Albertine das Haus verlassen hat, und zwar mit ihren Koffern! Françoise, die ja schon immer gegen das Fräulein war, hat nicht gewagt, Marcel zu wecken, weil das einen Tabubruch bedeutet hätte. So ist das Mädchen ohne Abschied verschwunden. Da aber » stockte mir der Atem, ich mußte mein Herz mit beiden Händen festhalten «. Albertine ist fort und der Band zu Ende.
    Unklares Inventar:
    – Gruyèrekäse.
    Verlorene Praxis:
    – Nicht wagen, ihr zu nahe zu kommen, » um den schönen Stoff nicht zu zerdrücken «.
    – Fürchten, daß gewisse laszive Posen auf Gemälden ihr » Verlangen oder Sehnsucht nach volkstümlichen Genüssen einflößen könnten «.

6. Buch
Die Entflohene

    145 . Di, 19.12., Berlin
    Habe mich wieder breitschlagen lassen, Aufträge für Texte anzunehmen, die zu wenig einbringen für die Mühe, die sie mir machen, weil ich darin objektiv tun muß. Als fiele mir Schreiben leicht, wo das Gegenteil der Fall ist, jedenfalls sobald ich nicht weiß, was ich sagen soll, denn dann kann ich nicht mal mehr die Grammatik. Aber die Alternative wäre, mehr Zeit für Gedanken an mein ungerechtes Schicksal zu haben, dann doch lieber arbeiten.
    Bis Freitag muß ich den vierten Teil eines Weihnachtsfortsetzungskrimis für den Tagesspiegel schreiben, schon die Lektüre der von anderen Autoren verfaßten ersten drei Teile hat mich eine Stunde gekostet, und ich habe ständig den Faden verloren. Weihnachtskrimis und Fortsetzungsgeschichten, schlimmer geht es eigentlich gar nicht, könnte man denken, wenn man nicht wüßte, daß der Text nebenbei von Berlins Schuldenberg handeln soll. Ich glaube, eine Magisterarbeit zu einem beliebigen Thema würde mir leichter fallen. Bis jetzt geht es in der Geschichte um einen Wessi und einen Ossi (Konrad und Kevin, die Namen kann ich wahrscheinlich als Autor des abschließenden vierten Teils nicht mehr ändern), die eine »Baut« einführen wollen, eine Zwangszahlung für Berlinbesucher, um die Stadt zu entschulden. Dann engagiert sie ein Scheich, Vater von sechs Töchtern, sie sollen in seinem Land für Kultur sorgen, aber das Flugzeug wird von Abfangjägern zurückgeholt, weil Berliner nicht mehr verreisen dürfen, die Stadt will ihr Geld zusammenhalten. Die Idee mit der Baut ist plötzlich von anderen umgesetzt worden, denn die BVG, die in Wirklichkeit ein Geheimdienst ist und die Stadt regiert, hat über »Cybertechnologie« die Gedanken aller Berliner Weihnachtsmänner abgehört, also auch die von Kevin und Konrad.
    Wer schreibt mir achttausend Zeichen, die das zu einem Schluß führen, dem man meine Unlust nicht anmerkt? Ich bin im Moment bei hundert Zeichen und am Verzweifeln.
    Als wäre das nicht schon genug, habe ich heute auch noch, weil ich einfach nicht nein sagen kann, der taz tausend Zeichen zum alljährlichen Thema: »Was kann man zu Weihnachten machen?« versprochen. Ich würde sagen: sich mit einem Bier vor den Computer setzen, die Festplatte defragmentieren und beobachten, wie sich die kleinen Kästchen langsam sortieren. Oder endlich den Text für das Irland-Heft von MERIAN schreiben, für den sie mir »als Inspiration« (billigen) irischen Whiskey, eine Tüte Grassamen, ein Foto von einer Abtei und eine CD mit keltischer Esoterik-Musik geschickt haben. Diesmal nur fünftausend Zeichen bis Ende des Jahres, aber »literarisch«. Wie früher sind mir die Ferien von Hausaufgaben verdorben worden, mit denen ich am letzten Abend beginnen werde, den Blick auf im Schneematsch verrottende Silvesterknaller.
    Der Plan ist also:

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