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Schmidt Liest Proust

Schmidt Liest Proust

Titel: Schmidt Liest Proust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Schmidt
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mehr da ist. Auch jede Gesellschaft, die einen gar nicht kennt, sollte verzweifelt nach einem fehlenden Element suchen, bis man dazutritt und alle aufatmen und sich von einer unsichtbaren Last befreit fühlen.
    Im Hausflur den halbvollen Wodkabecher in die Kiste für Werbung geworfen und dabei das Unbehagen beim Werfen von Restflüssigkeiten in öffentliche Behälter empfunden.
    Im Schatten junger Mädchenblüte, S. 445–467
    Inzwischen ist im Hotel alles gar nicht mehr so schlimm, selbst der Direktor ist eigentlich ganz sympathisch, » seitdem ich in Balbec war, hatte meine verstehende Aufmerksamkeit sein Gesicht gleichsam mit konservierenden Mitteln behandelt und allmählich verwandelt, als handle es sich um ein Präparat für den Naturgeschichtsunterricht «. Marcel hat also allein durch seine verstehende Aufmerksamkeit aus dem Direktor einen besseren Menschen gemacht. Aber dafür braucht man eben Wochen, und die paar Stunden, die man bei einer Party hat, reichen nicht aus. Aber jetzt wird klar, warum man dort immer so enttäuscht wird, weil man einfach mit überzogenen Erwartungen hingeht: » Ich hegte in mir alte Kindheitsträume, in denen die ganze Liebe, welche in meinem Herzen, aber, wenn ich sie fühlte, von ihm selbst ganz ununterscheidbar, enthalten, mir von einem Wesen entgegengebracht würde, das von mir so verschieden wie möglich wäre. «
    Marcel hat zwar noch nichts geleistet und auch wenig mehr getan, als seine Umwelt und sein Seelenleben zu beobachten, aber auch davon braucht er eine Pause. Seltsamerweise kann man sich zu Großem berufen fühlen, ohne das Geringste vorzuweisen zu haben: » Seit einiger Zeit hatten mir Bergottes Worte, er sei entgegen meiner Behauptung überzeugt, daß ich vor allem für die Freuden des Geistes bestimmt sei, eine gewisse Hoffnung auf eine künftige Leistung zurückgegeben, die jeden Tag von neuem durch die Unlust zuschanden gemacht wurde, mit der ich mich an den Schreibtisch setzte, um eine kritische Studie oder einen Roman zu beginnen. « In solchen Zeiten ist man natürlich umso empfänglicher für die Worte von Erfahreneren, die in einem das erkennen, woran man selbst noch gar nicht glaubt. Vielleicht würde man ja, wenn man nie durch so jemanden angestiftet würde, einen richtigen Beruf ergreifen.
    Wenn Marcel etwas erreichen will, muß er kräftiger werden, » um das Werk zu schaffen, das ich vielleicht in mir trug «. Aber mit der Askese ist es in Rivebelle vorbei, sie betreten den Speisesaal und verbergen ihre Gefühle » unter einer ernsten, eisigen Miene und einer lässigen Art des Schreitens, um nicht den gewissen schneidigen Chansonetten zu gleichen, die zum Absingen eines übermütigen Couplets auf eine kriegerische Melodie in der martialischen Haltung eines siegreichen Generals auf die Bühne stolzieren «. Ein großer Opernauftritt ist das mindeste, was man erwarten darf, wenn man zu einer Gesellschaft stößt. Wie üblich verliert er kein Wort darüber, wer ihm eigentlich diese Vergnügungen bezahlt, und es geht ihm nie der Gedanke durch den Kopf, ob es eigentlich gerecht ist, daß er hier schlemmt, während seine Altersgenossen ihn bedienen: » Einige Bediente, noch zu jung und schon abgestumpft durch die Ohrfeigen, die die Oberkellner ihnen im Vorbeigehen gaben, richteten melancholisch ihre inneren Blicke auf einen fernen Traum. «
    Marcel trinkt Bier, Champagner und Portwein. Er genießt durch die Musik und den Alkohol befeuert eine eigenartig euphorische Vision seiner Unwiderstehlichkeit: » Meine Liebe kam mir nicht mehr wie etwas vor, das unerwünscht sein, zum Lachen reizen könnte, sondern schien mir die rührende Schönheit und Verführungsgabe dieser Musik zu haben. « Die » Beseligung der gegenwärtigen Minute « sticht einmal die » Verwirklichung der Träume jener Vergangenheit « aus. » Infolgedessen geschah es, daß ich auf Grund eines nur scheinbaren Widerspruchs gerade in dem Moment, da ich ein einzigartiges Glücksgefühl in mir verspürte, da ich meinte, mein Leben könne herrlich sein, da es also in meinen Augen besonders wertvoll hätte sein müssen, alle Sorgen von mir warf, die es mir so lange bereitet hatte, und es ohne Zögern dem Risiko eines jederzeit möglichen Unglücks aussetzte. Ich tat dabei im übrigen nichts anderes, als auf einen einzigen Abend die ganze Sorglosigkeit zu konzentrieren, die sich bei andern Menschen in verwässerter Form auf das ganze Dasein verteilt. « Er würde sich von einem Mörder » ohne

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