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Schmidts Bewährung

Schmidts Bewährung

Titel: Schmidts Bewährung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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Bridgehampton war geringfügig, Elaine mußte sich also Literatur zum Thema anderswo verschaffen, aber darüber hatte sie nichts gesagt. Vermutlich ließ sie sich Bücher aus der Society Library in New York schicken oder bekam sie über die Fernleihe, und jetzt, da Gil im Harvard-Aufsichtsrat war, vielleicht sogar aus der Widener-Bibliothek. Wie auch immer, warum sollte er sie zum Essen einladen? Die Unterhaltung würde nur zu problematischen Themen führen. Carrie war kein unverfänglicher Gesprächsgegenstand, ebensowenig wie Charlotte oder auch Gil, denn Elaine war überzeugt, daß Schmidt sich mit Gils geheimem Gefühlsleben bestens auskannte. Lohnte sich das zusätzliche Risiko, daß Elaine seine Initiative als Auftakt zu einem absurden romantischen Abenteuer verstehen mochte? Nein, es lohnte sich nicht, und er wußte auch sonst niemanden, den einzuladen er auch nur entfernt in Betracht zog.
    Also blieb ihm nur Trollope – er hatte vor kurzem angefangen, seine Lieblingsbücher wiederzulesen –, das Bezahlen von Rechnungen und das Warten auf Charlottes Anruf. Sie mußte ihm doch nun wirklich Bescheid geben, ob sie zum Wochenende kommen wollte. Wenn sie aus irgendeinem Grunde nicht fahren konnte oder wollte, würde er sie in der Stadt besuchen. Aber er war zu dem Schluß gekommen, daß er sich vor allem hüten müsse, ihr das Gefühl zu geben, er wolle sie ins Kinderzimmer zurückkomplimentieren und sozusagen selbst »die Regie übernehmen«. Deshalb war Abwarten das klügste. Sie würde schon anrufen. Es lockte ihn nicht, sich gleich morgens mit einem Buch hinzusetzen. Soviel war klar, daß er Gil Blackman eine geschönte Version seiner in ungestörtem Müßiggang verbrachten Stunden gegeben hatte. DieRechnungen – besonders viele waren es nicht – mußten erledigt werden. Aber erst einmal wollte er sich rasieren. In der letzten Zeit hatte er sich dabei ertappt, daß er, besonders wenn Carrie Übungskurse hatte, seine Morgentoilette immer weiter hinausschob, und das war mit Sicherheit die glatte Rutschbahn bergab ins Dasein eines ungepflegten – ja, warum nicht deutlich sagen – schmuddeligen alten Mannes. Wie es dazu kommen kann, hatte er mitangesehen. Ein Literaturagent, einer der wenigen, deren Geschmack und Prinzipien Mary geachtet hatte – sie war sogar der Meinung gewesen, er hätte als Lektor mit einem eigenen Imprint in ein größeres Verlagshaus gehört –, ein Mann, mit dem sie sich regelmäßig trafen, hatte sich zur Ruhe gesetzt. Kurz darauf ließ sich seine wesentlich jüngere Frau von ihm scheiden – und zwar ohne ersichtlichen Grund, von einem anderen Mann wußte jedenfalls keiner etwas. Vielleicht war der Scheidungsgrund nur die Tatsache, daß er seine Zeit meist in ihrem gemeinsamen Haus in Georgica verbringen wollte, während sie die Woche über in New York sein mußte, weil sie als Partnerin in einer anderen Agentur arbeitete. Jedenfalls gab sie nie vor, sich über das Leben auf dem Land oder den Ruhestand ihres Mannes zu freuen. Kurz nachdem sie ihn verlassen hatte, konnte man sehen, wie Jake bei seinen Besorgungen in den Läden am Ort unrasiert, mit zwei Tage alten Bartstoppeln, in Schuhen ohne Schnürbänder – er hatte sie wohl herausgezogen, weil er sie überflüssig fand – und unnatürlich gebückt herumschlurfte. Irgendwann hatte er auch zwei untere Schneidezähne verloren. Es gab keinen Grund zu der Annahme, er habe sie bei einer Schlägerei eingebüßt; wahrscheinlich hatte er zu gierig in ein Lammkotelett gebissen und den Knochen getroffen. Die Zähne wurden nicht ersetzt, und innerhalb weniger Monate war Jake tot, an einem Schlaganfall gestorben; erhinterließ ein kompliziertes Erbe ohne ausreichende Liquidität zur Bezahlung der Erbschaftssteuer, das unter knapp bemittelten Neffen, Nichten und Stiefkindern aufgeteilt werden mußte. So wollte Schmidt nicht enden. Eine versäumte Rasur löst nicht notwendig eine Apoplexie aus, das wußte er, aber ein Vorbote könnte das Versäumnis wohl sein!
    Also die Treppe hinauf ins Bad. Er konnte sich nicht erinnern, wie oft er die auswechselbare Klinge seines Rasierapparats schon benutzt hatte. Er hatte die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten: entweder die Klinge noch einmal verwenden und unter Umständen mitten in der Arbeit gegen eine neue auswechseln, weil die Rasur nicht mehr glatt ging, oder gleich eine neue einsetzen. Halbherzig, weil der nicht unbeträchtliche Preis von Klingen in Spitzenqualität doch allmählich zu Buche

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