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Schmidts Bewährung

Schmidts Bewährung

Titel: Schmidts Bewährung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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heruntergeputzt, vielleicht auf die Finger geklopft werden mußte – aber Schlimmeres war nicht zu erwarten. Er wußte, was er hätte tun sollen: sofort wieder in das Geschäft gehen, Geld und Scheck zurückgeben und sagen, er wisse selbst nicht, was er sich dabei gedacht habe – also vor dem Mädchen und dem Ladenbesitzer auf die Knie fallen. Aber er wollte nicht. Er wollte die fünfzig Dollar behalten oder vielleicht sogar hundert, falls er doch keinen neuen Scheck ausstellen mußte. Am Ende würde sein Wort gegen das der Verkäuferin stehen, und ihr Wort konnte nicht soviel wiegen. Sie war nur ein Ladenmädchen mit großen Titten und breitem Mund, das sich bei Elsie’s am Flipperautomaten von ihm hatte ansprechen und mitnehmen lassen und das gleich bei der ersten Begegnung mit seinem Schwanz gespielt hatte. Bevor sie die Stelle als Verkäuferin bekam, hatte sie bei Snow White gearbeitet und dort die Wäsche der Universität gereinigt. Deshalb kannte sie sich mit den Flecken auf den Bettlaken der Harvardknaben genau aus, und deshalb waren die Kuppen dieser rundlichen heißen Finger so seltsam glatt und weich. Brühheißes Wasser und Lauge hatten die Haut aufquellen lassen, bis keine Fingerabdrücke mehr zu erkennen waren. Mit diesem Mädchen wollte er nicht gesehen werden; das war ihm klargeworden, als er sie einmal mit Gil zusammengebracht hatte.
    Kurz und gut, er hatte das Geld behalten, und wenn er daran dachte, wie kümmerlich der Monatswechsel war, den seine Mutter ihm schickte, weniger als die Hälfte dessen, was Gil von seinen Eltern bekam, die nicht wohlhabend waren und nicht in einem so eleganten Haus wie seine Mutter und sein Vater wohnten, dann überkam ihn eine solche Wut über ihren Geiz, der schuld an seiner schäbigen Geldgier war, daß er darüber zeitweilig die Schamvergaß. Und dann war es ihm eigentlich gar nicht um das Geld gegangen. Schließlich hatte er nie etwas aus Gils Taschen geklaut, er hatte auch nie die Bücher, die er für die Seminare brauchte, gestohlen, sondern sie bei Coop oder Schoenhof gekauft, er hatte auch keine Bücher entwendet, um sie einem Händler am Central Square weiterzuverkaufen, was nicht unüblich gewesen wäre. Er hatte ganz impulsiv gehandelt. Nicht nur aus Geldgier, sondern mehr noch vor Ärger darüber, daß er nichts Besseres fand als diese kleine Schlampe aus der Stadt, die nicht bis zum Letzten gehen wollte. Aber als er schließlich begriff, was er angestellt hatte und welche Konsequenzen sich daraus ergeben konnten, übernahm die andere, stärkere Empfindung, die ihn weiter gedrängt hatte, endgültig die Oberhand: das Gefühl, unabänderlich einer Macht ausgeliefert zu sein, die er weder in Schranken halten konnte noch wollte. Die Karten waren verteilt und aufgenommen, nun mußten sie ausgespielt werden.
    Daß er bei dieser Geschichte und gewissen anderen Vorfällen, die auf den ersten Blick nicht mit ihr in Zusammenhang standen, womöglich zu viel aufs Spiel gesetzt hatte und tollkühn auf die Katastrophe zusteuerte wie ein Testfahrer auf eine Betonmauer, das ging ihm durch den Kopf, als er, gerade erst zum Sozius befördert, am Ende einer Geschäftsreise nach New York zurückflog. Er war für Wood & King auf Nachwuchssuche gewesen – an einer Südstaatenuniversität, wo die Kanzlei noch nie Mitarbeiter gesucht hatte. Wenn nicht seine Tollkühnheit den Zusammenhang zwischen den Vorfällen stiftete, dann konnte es nur Bösartigkeit sein, jene einzigartige Eigenschaft, die einen Menschen zum Feind seiner selbst, seiner Mitmenschen und natürlich Gottes macht. Was für eine Erleichterung! Er streckte die Beine aus, freute sich auf den zweiten doppelten Bourbon, der schon auf demKlapptisch vor ihm stand, und genoß den Komfort seines Platzes in der ersten Klasse. Der Brummschädel vom frühen Morgen, Grund für seinen Anruf bei American Airlines und die Umbuchung auf einen späteren Flug nach New York, war jetzt nur noch als eine vage, nicht ganz unangenehme Empfindung geschärfter Sensibilität und Wachheit spürbar. Seine Unterlagen hatte er auf dem Nachbarsitz ausbreiten können, er sah die Bewerbungen der Studenten durch, mit denen er Gespräche geführt hatte, und verglich sie mit seinen Notizen. Laverna Daly! Ihr tabellarischer Lebenslauf mit der Überschrift »Biographie in Kürze« war professionell gedruckt, das beigefügte Farbphoto, ein Schnappschuß, rechts oben am Rand des Blattes angeheftet. Das Bild wurde ihr nicht gerecht. Sie hatte als

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