Schmidts Einsicht
Blackman. Du hast den Ozean überquert, den Weg nach Water Mill gefunden und dir nicht die Mühe gemacht, anzukündigen, daß du kommst? Schande über dich!
Schmidt hörte sich mit einer ganz komischen neutralen Stimme sagen, Hallo Alice, hallo Serge!
Ich mache das gleiche wie du, brüllte Popov zurück, trinke Towaritsch Gibsons Schnaps und feiere den Unabhängigkeitsabend. Hätte ich gewußt, daß ich irgendwo in der Nähe von Wainscott sein würde, hätte ich mir erlaubt, den großen Cineasten zu stören und ihm Grüße von Towaritsch Godard zu überbringen. Aber diese junge Dame und ich – Alice Verplanck –, darf ich dir den berühmten Gil Blackman vorstellen – wohnen bei Jeremy, in seinem Schloß an der North Fork, und nichts hat uns vorgegaukelt, daß wir die Wasser der Peconic Bay, die in der mittsommerlichen Windstille gleich einem juwelenbesetzten Diadem glitzern, zweimal überqueren würden, um auf Towaritsch Gibsons fête champêtre anzulanden. Wie du dir vorstellen kannst, ist Jeremy, reich an Ochsen und milchweißen Eseln, Genosse Gibsons Starautor! Der unsere ebenfalls!
Du bist entschuldigt, aber nur knapp, sagte Mr. Blackman.
Der Ton seiner Stimme hatte sich verändert, für Schmidt ein Hinweis, daß er die Ungeheuerlichkeit dieser Begegnung begriffen hatte.
Na ja, genießt die fête champêtre , fügte er hinzu, wir werden unterdessen nach der schönen Elaine suchen. Komm, Schmidtie. Das Rad der Zeit, du weißt schon.
Sekunde, sagte Schmidt. Alice, auf ein Wort, bitte.
Sie nickte und ging ein paar Schritte mit ihm.
Es tut mir leid, sagte sie, das ist eine totale Überraschung.
Für mich auch, erwiderte Schmidt. In mehr als einer Hinsicht.
Ich weiß, sagte sie. Wir sehen uns in zehn Tagen in London, oder? Dort erkläre ich dir alles, wenn du mich läßt.
In Ordnung, nickte er. Rendezvous in London.
Das war aber merkwürdig, sagte Mr. Blackman, als sie alle wieder in seinem Auto saßen. Wir setzen dich an deinem Haus ab. Du kannst aufs Klo gehen und dann mit uns zu Abend essen – was sollen wir sagen, Elaine, um acht? Abgemacht, um acht. Schmidtie, hat Popov dir die Sprache verschlagen? Kommst du zu uns?
Später, als Elaine in der Küche beschäftigt war, sagte Gil bei einem Drink: Oha, hast du das gewußt?
Schmidt schüttelte den Kopf.
Das war ja was.
Schmidt nickte.
Andererseits ist es vielleicht auch nichts, fuhr Gil fort. Sie sind Kollegen, angereist zur notwendigen Autorenpflege eines Mannes, dem ihr Verlag eine ansehnliche Portion seines Gewinns verdanken muß. Das halte ich für die wahrscheinliche Erklärung, wenn ich bedenke, was du mir von Alice und dir erzählt hast – sie ist übrigens wirklich umwerfend.
Aber vielleicht hält sie mich zum Narren. Womöglich zu Popovs Vergnügen.
Warum sollte sie? Sie ist erwachsen, du bist erwachsen, warum sollte sie zulassen, daß du Ernst mit ihr machst, wenn es nur – wie soll ich sagen – eine Eskapade wäre?
Ja warum, antwortete Schmidt. Wenn ich das wüßte. Aber in London werde ich es erfahren. Habe ich dir nicht erzählt, daß wir uns dort für den 14. Juli verabredet haben?
Mr. Blackman nickte.
Na ja, sie hat mir gerade mitgeteilt, daß sie kommen will. Wie verabredet. Hältst du mich für verrückt, wenn ich mitmache?
Du meinst, wenn du dich an die Verabredung in London hältst? Nein, sagte Mr. Blackman, das ist nicht verrückt; es ist das einzig Richtige. Ich verstehe nicht, was du zu verlieren hättest.
Vielleicht meine Würde?
Unsinn. Laß dir’s gutgehen. Gönn dir soviel Sex mit ihr, wie du möchtest oder wie sie zuläßt, und gib ihr die Chance, zu erklären, was wirklich mit Popov läuft.
Als Schmidt wieder zu Hause war, fand er eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter. Sie war von Myron Riker, der ihn bat, vor zehn Uhr am selben Abend zurückzurufen oder gleich morgens am Vierten Juli. Gleich morgens, das heiße nach neun, aber möglichst vor zehn Uhr. Er werde sein Handy einschalten und auf Schmidts Anruf warten.
Schmidt rief um Punkt neun Uhr an.
Danke für den Rückruf.
Schmidt merkte, daß Myron nach Worten suchte.
Ich möchte es ohne Umschweife sagen, rang sich Myron schließlich ab, überraschend ist es nicht, aber ein Grund zur Sorge. Charlotte leidet an einer Depression. Manche – Renata und der erste Psychiater, den Charlotte konsultiert hat – würden von einer schweren Depression sprechen. Nach meiner Einschätzung befindet sie sich auf dem Spektrum zwischen mild und schwer ungefähr in
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