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Schmidts Einsicht

Schmidts Einsicht

Titel: Schmidts Einsicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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Es ist eine hochbelastete Beziehung.
    Damit war das Gespräch zu Ende, Schmidt kochte sich noch einmal Kaffee, trank eine große Tasse, gegen seine Gewohnheit mit Milch und Zucker. Sollte er mit der Hand oder mit der Maschine schreiben? Mit der Maschine, beschloß er. Charlotte wußte, daß seine einzigen handgeschriebenen Briefe Beileidsbekundungen waren.
    Mein Liebes, schrieb er,
    Du bist mir nie fern, ich denke immer an Dich. Alles in diesem Haus hier erzählt mir von Dir. Vor ein paar Tagen bin ich am Strand entlang nach Osten gegangen, bis zum Zufluß in den Sagaponack Pond und habe daran gedacht, wie gern Du im Wasser gewatet bist und wenn der Zufluß offen war, mit Deinem kleinen Styroporbrett Bodysurfen geübt hast. Du warst so mutig!
    Ich hoffe, Du bist auch jetzt mutig. Du hast so viel durchgemacht, als hätte Dich ein Lastwagen überfahren. Jetzt ist die Zeit für Ruhe und Heilung und, wie Du gern gesagt hast, Zeit, rundum gesund zu werden. Bitte denk daran, daß ich Dir immer zur Seite stehe, ob nah oder fern, immer bereit bin, Dir zu helfen, immer voller Liebe und Bewunderung für Dich.
    Dein Dad
    Er las den Brief noch einmal durch. Viel war’s nicht, aber besser könne er es nicht machen, dachte er. Später am Vormittag schickte er ihn an Charlottes New Yorker Adresse. Er nahm an, daß Jon Riker genug Anstand besaß, ihr den Brief nachzuschicken, falls er erst ankam, wenn sie schon in Sunset Hill war. Aber wenn man es recht überlegte, bestand kein Grund, Jon irgendwelche feineren Gefühle zuzutrauen. Wenn Charlotte ihm nicht nach angemessener Zeit antwortete – aber wieviel Zeit war das? Zwei Wochen? Länger? –, würde er Myron bitten, herauszufinden, ob sie die Post bekommen hatte. Und wenn sich zeigte, daß Myron diese Information nicht beschaffen oder weitergeben konnte? Laß das, Schmidtie, ermahnte er sich, so kannst du nicht weitermachen. Wenn sie nicht antwortet, schickst du ihr noch einen Brief, diesmal nach Sunset Hill, und zwar mit FedEx, so daß jemand dort den Empfang bestätigen muß.

XVII
    Kein Brief von Charlotte, als Schmidt am Tag seiner Abreise nach London seine Sendungen im Postamt abholte. Nur Rechnungen, darunter eine sehr gesalzene von Dr. Townsend und ein Schreiben aus Sunset Hill mit der Bitte um eine Anzahlung auf die Kosten, die für Mrs. Jonathan Riker anfallen würden. Daß Charlotte nicht geschrieben hatte, war keine Überraschung, und daß er enttäuscht wäre, konnte er kaum sagen, ohne zu schwindeln. Wenn überhaupt ein Brief kam, würde er mit großer Sicherheit Kränkungen und schlechte Nachrichten enthalten. Myron hatte ihm am Telefon gesagt, der langsame Heilungsprozeß – so drückte er sich aus – habe eingesetzt. Zusätzlich zu den Sitzungen mit Dr. Townsend gehe sie zur Gruppentherapie und zum Malen und Basteln – laut Myron war das eine Beschäftigungstherapie. Natürlich, dachte Schmidt, sedierte Patienten sitzen im Schneidersitz in einem Kreis auf dem Fußboden, lassen ihre Wut auf Eltern und Ehepartner heraus und versuchen sich anschließend mit Fingerfarben oder Makramee. Trotzdem, der Gedanke, daß womöglich ein Brief von ihr – was auch immer darin stehen mochte – ungelesen auf seinem Küchentisch lag, während er sich mit Alice Verplanck verlustierte, war unerträglich. Darum bat er nach langem Überlegen schließlich Carrie, sie möge, wenn sie die Post sortierte, die Bryan immer abholte, wenn Schmidt verreist war, nach einem Brief von Charlotte Ausschau halten. Wenn einer eintraf, solle sie ihm am Telefon vorlesen, was drinstand. Es könne gut sein, daß der Brief sehr unerfreulich sei, warnte er sie. Sie nickte. Und wenn schon. In der Zeit,als sie und Schmidt zusammenlebten, hatte sie Charlottes Szenen mehr als einmal miterlebt und verstand ohne weitere Erklärungen, welche Art von Schock er fürchtete. Hier hatte er etwas ganz richtig gemacht: Diese Aufgabe hätte er niemandem sonst anvertrauen können, niemand besaß soviel natürliche Diskretion oder Takt wie Carrie. Sie würde ihm den Brief vorlesen und nicht mehr davon sprechen, außer um ihn zu trösten.
    Das Treffen in London hatte in seinen Gedanken eine so große Bedeutung angenommen und ihn mit derart widersprüchlichen Empfindungen – Aufregung, Hoffnung, aber auch unguten Vorahnungen – erfüllt, daß er beschloß, einen Tag früher einzutreffen und sich vierundzwanzig Stunden Zeit zu lassen, um nach dem Nachtflug wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Ruhe brauchte er und

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