Schmidts Einsicht
der Mitte. Aber das ist reine Terminologie. Wichtig ist, daß sie sehr leidet. Sie ist jetzt wieder in die New Yorker Wohnung eingezogen, aber ob sie dort oder in Claverack ist, macht keinen großen Unterschied, Tatsache ist, daß sie noch nicht wieder arbeiten kann, und allein in der Wohnung zu sitzen, während Jon im Büro ist, und den ganzen Tag nichts zu tun zu haben außer dem Besuch bei ihrem Psychiater dient nicht der Besserung ihres Zustandes. Um eine lange Geschichte abzukürzen: Der Psychiater, der sie jetzt behandelt, hat empfohlen, sie stationär aufzunehmen. Ihre Medikation könnte überwacht werden, und der Psychiater – kein Grund, warum du seinen Namen nicht erfahren solltest, er heißt Alan K. Townsend – ist dort Senior Consultant, das heißt, er sieht seine Patienten pro Woche zweimal. Er könnte Charlotte weiter behandeln.
Jetzt fehlten Schmidt die Worte.
Myron, hältst du das für eine gute Idee, Medikation, stationäre Aufnahme, das Ganze? Wo bleibt da noch Raum für eine Therapie? Ach, meine arme Charlotte.
Ja, Schmidtie, ja, ich halte es für eine gute Idee. Ich kann dir versichern, daß mir nichts, wirklich nichts, wichtiger ist als Charlottes Wohl. Die Behandlung von Depressionen hat sich geändert. Kaum jemand versucht noch, sie ausschließlich oder auch nur vorwiegend durch Analysen oder andere Gesprächstherapien zu heilen. Die neuen Medikationen – von Prozac wirst du schon gehört haben, aber es gibt noch andere, verfeinerte Medikamente – sind sehr wirksam, wenn sie fachkundig und in Kombination mit Psychotherapie eingesetzt werden. Wir wissen jetzt, daß die Ursache physiologisch ist und daß die Behandlung sehr aggressiv sein muß. Sehr aggressiv sage ich deshalb, weil andernfalls kognitive Funktionen schweren, vielleicht irreversiblen Schaden nehmen könnten. Bitte, vertrau mir. Dies ist die bestmögliche Lösung.
Wo findet das statt? Die stationäre Behandlung, meine ich. Und wann?
Die Überweisung nach Sunset Hill? Optimal wäre die nächste Woche. Sunset Hill liegt in West Connecticut, und die Umgebung ist sehr gut.
Und was kann ich tun?
Wieder war Myron offenbar um Worte verlegen. Schmidtie, sagte er, ich spreche dies sehr ungern aus, aber das Wichtigste, was du tun kannst, ist, die Kosten fürSunset Hill und Dr. Townsend zu übernehmen, die von der Versicherung nicht erstattet werden. Ich fürchte, sie werden ziemlich hoch sein. Es tut mir so leid. Ich hätte gedacht, daß Jon sie bezahlen könnte, aber er hat mir gezeigt, daß er es nicht kann.
In Ordnung, sagte Schmidt, die Familie Riker weiß ja, daß ich fürs Bezahlen gut bin.
Prompt war er entsetzt über seine eigenen Worte. Entschuldige bitte, Myron, ich schlage nur um mich. Natürlich zahle ich. Sorge du dafür, daß die Rechnungen an mich geschickt werden. Wenn die Krankenversicherung irgend etwas erstattet, können die Schecks mir überschrieben werden.
Verstanden, antwortete Myron. Danke.
Aber mit meiner Frage habe ich gemeint: Was kann ich für Charlotte tun? Kann ich sie besuchen? Wird sie das wollen? Jetzt? In diesem Sunset Hill? Wird Dr. Townsend mit mir sprechen?
Schmidtie, daß sie dich jetzt sehen will, bezweifle ich. Sie ist meistens unansprechbar. Später, in Connecticut, ja, würde ich annehmen. Townsend wird nicht ohne Charlottes Einverständnis mit dir sprechen. An deiner Stelle würde ich Charlotte schreiben. Einen kurzen Brief, sehr liebevoll und sehr stützend, ohne etwas zu fordern, ihr Glück wünschen.
Schmidt ließ sich das durch den Kopf gehen. Er wollte schon sagen: Du bist ein guter Mann, Myron Riker, verbot es sich dann aber. Statt dessen erklärte er, er sei ihm wirklich dankbar und zähle darauf, daß Myron ihn auf dem laufenden halte und ihm Bescheid gebe, wenn er irgendwie sonst helfen könne.
Fünf Minuten später rief er Myron noch einmal an und sagte, er habe zwei Fragen, die er besser vorher gestellt hätte: Sollte er in seinem Brief auf ihre Krankheit und Sunset Hill anspielen? Und warum hatte seine Tochter, sein einziges Kind, sich so gegen ihn gewendet?
Gute Fragen, sagte Myron. Ich denke, du kannst auf ihre Lage anspielen, wie du es nennst, aber vertiefe es nicht. Wenn möglich, erwähne es nur nebenbei. Die zweite Frage? Da weiß ich keine Antwort. Vielleicht findet Alan Townsend es heraus. Ich kann nur ganz allgemein sagen, die Wahrscheinlichkeit, daß es zwischen einem Elternteil und einem Kind zu schweren Spannungen kommt, ist größer, als daß alles gutgeht.
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