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Schmidts Einsicht

Schmidts Einsicht

Titel: Schmidts Einsicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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Gelassenheit. Aber als er sein Programm absolvierte, das heißt, seine alten Freunde unter den Gemälden in der National Gallery wiedersah, im Hyde Park spazierenging, in einem Club in der Nähe von Covent Garden, der seinem New Yorker Club angegliedert war, allein zu Abend aß und sich am nächsten Morgen in einem plötzlichen Entschluß einen neuen Haarschnitt und eine Maniküre verpassen ließ, begriff er immer weniger, warum er auf Gil gehört und die Verabredung mit Alice eingehalten, warum er sich eingeredet hatte, er habe nichts zu verlieren. Oder, besser gesagt, er begriff nur allzu gut: Im Grunde hatte er sich stillschweigend die zynische Auffassung zu eigen gemacht, die hinter Gils Rat steckte: Hab Sex mit ihr, such dein Vergnügen. Ja, er wollte und brauchte Alice, dringend. Eine pausenlose Diashow ihrer beider Umarmungen lief in seinem Kopf ab, und er hatte keine Lust, wegzusehen. Hätten sich ihre Pariser Begegnungen doch auf dieser Basis abgespielt, dann wäre die Erregung, die er jetzt spürte, sein heftiges Verlangen, uneingeschränktfreudig. Er hätte den Portier gebeten, ein Sommerblumengebinde in das Zimmer zu stellen. Vielleicht wäre er jetzt auf dem Weg nach Heathrow, um sie abzuholen. Hätte er ihr nur nicht gestanden – völlig übereilt und töricht, das erkannte er jetzt –, er wolle, daß sie immer bei ihm sei, daß sie ihn heirate. Alice hatte Bedenken gehabt, das mußte man ihr lassen, aber ihre Einwände hatten so liebevoll und zartfühlend geklungen, daß er sich erlaubt hatte, ihre Scheu – oder das, was er dafür hielt − als bescheidene und schüchterne Einwilligung zu verstehen. Wie dumm von ihm.
    Die Lehrer in der jesuitischen Schule hatten, abgesehen von langen Abschnitten der Aeneis, einen Bogen um Gedichte gemacht, aber seine damalige Begeisterung für Latein hatte bewirkt, daß er auf dem College nachholte, was sie ausgelassen hatten. Wieder und wieder hatte er Catull gelesen, und nun wurden die Zeilen aus dessen bitterer Klage über seine Geliebte Lesbia zu Bildunterschriften der Diashow: Jetzt aber kenne ich dich; und begehre dich um so glühender, / aber zugleich bist du mir viel weniger wert und viel leichtfertiger. / Warum? fragst du. Weil solche Verletzung / den Liebenden zwingt, mehr zu lieben und weniger wohlzuwollen. Über welche Kränkung klagte Catull? Über Lesbias Untreue. Galt das nicht auch für Alice, mit dem komischen Unterschied, daß Popov, der Liebhaber mit dem eindeutig älteren Recht, mehr Grund zum Klagen hatte als er?
    Um zwei Uhr sollte ihr Flugzeug landen. Wenn es pünktlich kam, würde sie gegen vier im Hotel sein. Der Tag war so strahlend sonnig, daß Schmidt noch einen Spaziergang im Hyde Park machen wollte. Auf dem Weg hinaus ging er am Empfang vorbei, um sich einen Tisch für ein spätes Mittagessen um ein Uhr reservieren zu lassen, und bestellte das Sommerblumengebinde. Grundgütiger, er liebte sie!Er hatte sich nach ihr gesehnt! Der kleine Teufel, der ihm oft etwas ins Ohr blies, kicherte. Du gehst auf Nummer Sicher, mein Junge, sind diese Blumen wirklich eine Liebeserklärung oder eine heimliche Anspielung, ein Hohn? Was wohl? Sei still, erwiderte Schmidt, ich weiß es nicht. Von Restaurants erwartete er nicht viel; er glaubte an den unvermeidlichen Niedergang nicht nur des Abendlandes, sondern des gesamten Planeten. Kein Wunder, daß sich seine Stimmung hob, als er sah, wie zauberhaft das Speisezimmer war, und als er vom Mâitre d’hôtel mit selbstverständlicher Höflichkeit begrüßt wurde. Während er das ausgezeichnete Essen verzehrte, reifte ein Entschluß in ihm. Auf Bill Gibsons Party hatte Alice ihm gesagt, in London werde sie alles erklären. Gut, sollte sie. Da er drei ganze Tage vor sich hatte, eilte es ihm nicht. Pech, wenn es so kam, daß er sie in der Zwischenzeit wie eine Streunerin behandelte. Sie waren im Land Evelyn Waughs. Dumm gelaufen für Alice, würde eine Romanfigur in Lust und Laster vielleicht sagen.
    Kaum aber war der Page verschwunden, der Alices Gepäck getragen und im Schlafzimmer abgestellt hatte – Mr. Mansours Sekretärin hatte das von Schmidt bestellte Doppelzimmer dank ihrer Zauberkraft in eine Suite verwandelt –, da breitete Alice die Arme aus und sagte: Hier bin ich, Schmidtie, mach mit mir, was du möchtest. Im Flugzeug habe ich mich unter der Decke selbst berührt und nur an uns gedacht. Und schon bin ich gekommen.
    Komm, wir ziehen uns aus, flüsterte er zur Antwort.
    Das Bett war sehr groß und

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