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Schmidts Einsicht

Schmidts Einsicht

Titel: Schmidts Einsicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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Riese zog seinen eigenen Sohn auf und arbeitete für die Zukunft dieses Sohnes. Schmidt sollte sich ein Beispiel an ihm nehmen, sollte seine Anstrengungen auf das Wohlergehen seines einzigen Sprößlings, seiner Charlotte, konzentrieren.
    Gelegenheiten dazu hatten sich nach und nach, anfangs nur zögernd, ergeben. Fast genau ein Jahr zuvor, am Tag nachdem Timothy McVeigh für den Bombenanschlag auf Oklahoma City zum Tod verurteilt worden war, hatte Charlotte angerufen. Es war Mitte August, deshalb machte Schmidt in Bridgehampton Ferien; er las gerade den Bericht in der Times und dachte zurück an den Tag, als die Nachricht von dem Massaker im Federal Building die Aufsichtsratssitzung überschattete, die er, aus Alices Armen kommend, in letzter Minute erreicht hatte. Dad, sagte Charlotte, das Wort zum erstenmal normal aussprechend, ich habe das Haus in Claverack endlich verkauft, ich dachte, das würdest du gern erfahren. Du kannst mit den Zahlungen für die Hypothek aufhören.
    Gratuliere, erwiderte Schmidt, hast du einen guten Preis aushandeln können?
    Einen ziemlich guten. Ich suche jetzt ein Haus irgendwo in der Nähe von Sunset Hill in Connecticut. Das wäre für Josh bequem. Montags, dienstags und donnerstags unterrichtet er dort. Ich hoffe, das Geld, das ich für Claverack bekommen habe, reicht für den Kauf.
    Das sind nun wirklich gute Nachrichten, dachte Schmidt. Sie redet mit mir, als wäre ich ein Mensch, sie ist noch mit diesem White zusammen, und sie hat tatsächlich einen Plan, sogar einen vernünftigen.
    Er antwortete: Was für eine gute Idee.
    Hm, ja, und von September an arbeite ich ganztags in der Agentur.
    Das ist einfach wunderbar. Glückwunsch!
    Und noch etwas: Alan Townsend und ich sind uns einig, daß es genug ist, wenn ich zweimal im Monat zu ihm komme, sobald er aus den Ferien zurück ist. Er wird auch meine Medikamente absetzen, möchte aber dasein, wenn es soweit ist.
    Ich bin begeistert.
    Muß los, sagte Charlotte. Bis bald!
    Schmidt spürte, wie ihm die Kinnlade heruntersackte. War dies Charlotte oder eine Doppelgängerin, die sie besonders gut imitieren konnte? In der Vermutung, daß er tatsächlich mit seiner Tochter gesprochen hatte, rief er das Blumengeschäft in der Stadt an und ließ ihr eine große weiße Orchidee schicken samt einer Karte mit den Worten: Glückwünsche und alles Liebe von Deinem Vater. Als er den Auftrag gab, fiel ihm sein Versuch, Alice um Verzeihung zu bitten, wieder ein, eine Erinnerung, die immer noch schmerzte wie ein glühender Draht und ihm die Lust, etwas mit Blumen zu sagen, für alle Zeiten hätte austreiben können. Beinahe hätte er die Bestellung rückgängig gemacht, ließ es dann aber, da er sich sagte – vernünftig, fand er –, daß damals nicht die Orchideen schuld gewesen waren, sondern sein eigenes Benehmen. Sein Erstaunen wuchs, als Charlotte ihm dankte. Sie schickte ihm eine Hallmark-Karte mit einer Katze im Körbchen auf dem Deckblatt und den in Rot gedruckten Worten Vielen Dank auf der Innenseite. Das war eine Premiere, und er wünschte sich, er hätte sich mit ihrer Mutter darüber amüsieren können. Immerhin hatte sie eigenhändig unterschrieben. Vorgedruckte Dankeskarten hatten ihm bis dahin nur Liftboys, Automechaniker, Laufburschen in verschiedenen Institutionen und Postboten geschickt, denen er zu Weihnachten Bargeld schenkte, sowie die pensionierten Putzfrauen, denen er jährliche Schecks ausstellte. Aber dann fiel ihm ein, daß Charlotte von seiner Liebesaffäre mit Sy wissen mußte – aber woher? Hatte er es ihr erzählt? – und sich freundlich über ihn lustig machte. Das schien ihm ein deutliches Zeichen ihrer Rekonvaleszenz zu sein.
    Der nächste Anruf kam am Freitag nach dem Labor- Day-Wochenende, dem Tag, an dem Mutter Teresa gestorben war, und nachdem Charlotte Schmidt daran erinnert hatte, daß sie wieder arbeiten werde »wie eine richtige Person« – ein Ausspruch, der ihn tief rührte –, erklärte sie ihre Bewunderung für die heiligmäßige Nonne. Das verschlug Schmidt erst einmal die Sprache, er erinnerte sich dunkel, daß sie vor langen Jahren den Nobelpreis erhalten hatte, aber den hatte man auch Ehrenmännern wie De Klerk und Arafat zugesprochen (die sich die Auszeichnung jeweils mit einem überzeugenderen Kandidaten teilen mußten). Daß Charlotte Anteil an Indiens Ärmsten nahm, hatte er nicht geahnt.
    Er fing sich so rechtzeitig, daß er sagen konnte: Ja, das ist traurig. Sie hatte ein sehr langes Leben,

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