Schmidts Einsicht
sehen und sich von ihm umsorgen, vielleicht sogar von dem Alten umarmen lassen möchte, dann würde sie sich mit ihm in der Stadt treffen oder in Bridgehampton und das Haus und den Strand wiedersehen wollen, die das Ferienuniversum ihrer Kindheit waren. Daß sie verstand, sich zu verschaffen, was sie haben wollte, wußte er ohnehin, eine Liste der jüngsten Beispiele dafür brauchte er nicht. Er sagte sich: Sei bescheiden und dankbar, daß deine Tochter wieder eine funktionierende junge Frau ist, daß sie einen Mann gefunden hat, den sie mag und bei dem sie immerhin schon zwei Jahre geblieben ist. Und du, Schmidtie, mach weiter mit deinem Leben – soweit davon die Rede sein kann.
Dies versuchte er, so gut er konnte. Er reiste nach Europa zu Stippvisiten in den mittlerweile neun Life Centers. Danach machte er eine vom Fogg Museum organisierte Gruppenreise zu archäologischen Ausgrabungsstätten in Anatolien und kam rechtzeitig nach Hause, um mit anzusehen, wie der Präsident der Nation im Fernsehen bekannte, daß er über seine Beziehung mit der bereitwilligen Praktikantin im Weißen Haus gelogen hatte. Schmidt hatte versucht, Charlotte in der Stadt und in Kent anzurufen, um ihr zu sagen, daß er wieder da war, und als er auf seiner Veranda saß und in der Zeitung vom unmittelbar bevorstehenden wirtschaftlichen Zusammenbruch Rußlands las, klingelte sein Telefon. Charlotte rief zurück.
Dad, du bist wohl wieder zu Hause, sagte sie. Josh hat davon geredet, wie gern er dich kennenlernen würde. Mir scheint, er ist wie du. Wohnt jemand im Poolhaus?
Nein, niemand, erwiderte Schmidt und ermahnte sich, ihr die Initiative zu überlassen.
Wenn das so ist, könnten Josh und Jenny und ich vielleicht übers Labor-Day-Wochenende zu dir kommen, was meinst du? Das ist in zwei Wochen. Jenny ist jetzt dreizehn. Sie wird dich nicht stören.
Nichts könnte mich mehr freuen, das weißt du doch. Ich wünschte nur, es wäre eher. Kommt ihr mit dem Zug oder dem Bus oder mit dem Auto?
Mit dem Auto, aus Kent. Wir machen dort Ferien.
Das ist großartig, sagte Schmidt, das ist das schönste Geschenk zur Heimkehr, das ich mir erhoffen könnte. Sag mir nur Bescheid, ob ich zum Mittag- oder Abendessen mit euch rechnen soll.
Mittags. Damit wir nicht im Verkehr am Freitag nachmittag vor dem Labor Day stecken bleiben.
Sehr vernünftig. O ja, fügte er hinzu, ich sehe gerade im Kalender, daß Mike Mansour am Sonntag zu seinem alljährlichen Labor-Day-Lunch einlädt. Ich weiß, daß er dich und Josh und Jenny natürlich auch sehr gern kennenlernen würde. Es wäre schön, wenn ihr kämt. Du weißt vielleicht noch, daß er sehr hilfreich war.
Daaad, bitte fang nicht an, mich so weit im voraus zu verplanen. Ich rede mit Josh und schicke dir eine E-Mail. Muß los. Wiedersehen.
Sie legte den Hörer auf, bevor er Gelegenheit hatte, noch ein Wort zu sagen, aber Schmidt fand, es sei ein Durchbruch, daß sie außer der Muß-los-Abschiedsfloskeltatsächlich noch auf Wiedersehen gesagt hatte. Das genügte, dem gedehnten Daaad fast ganz den Stachel zu nehmen. Er konnte sich wirklich keine Äußerung Charlottes vorstellen, die seine Freude um ein Jota vermindert hätte. Sie würde ein langes Wochenende bei ihm sein, es war ihre Idee, und sie würde den Mann mitbringen, der in seiner Vorstellung allmählich ihr Ehemann wurde, und das Mädchen, das ihre zukünftige Stieftochter war. Er war noch nicht dazu gekommen, Gil anzurufen. Jetzt, den Hörer noch in der Hand, wählte er seine Nummer, erreichte ihn, und Gil sah keinen Grund gegen eines ihrer Mittagessen plus Herzensergießungen im O’Henry’s. Als er vom Essen zurückkam, wartete eine E-Mail von Charlotte auf ihn:
Danke, Dad! Josh sagt, wir drei kommen gern zu Mr. Mansours Lunch. C.
Jenny war, wie sich zeigte, ein verkleinertes Abbild ihres Vaters: schlaksig, leicht gebeugt, große Hände und Füße, Gesicht unauffällig, aber sympathisch und heiter, eingerahmt von blondem Haar, das Vater wie Tochter zum Pferdeschwanz gebunden hatten. Runde Brillengläser, hinter denen blaue Augen die Welt und ihre Bewohner mit ständigem Staunen zu betrachten schienen. Sie hatte einen kurzen Jeansrock an, ein weißes T-Shirt mit dem Aufdruck Mostly Mozart und Laufschuhe. Joshs Kleidung bestand aus gutgebügelten Khakihosen, einem blauen Arbeitshemd, das Schmidt aus dem L. L.-Bean-Katalog kannte, und einer bequemen weißen Baumwolljacke. Vater und Tochter hatten je einen kleinen L. L.-Bean-Matchbeutel
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