Schmidts Einsicht
und sie war wohl sehr müde.
Siebenundachtzig ist nicht so alt, erwiderte Charlotte. Sie hätte ihr Werk noch weiterführen können. Und die arme Diana! Es ist so traurig, so tragisch!
Schmidt meinte sie ganz leise weinen zu hören. Der tödliche Unfall der Prinzessin von Wales war vor knapp einer Woche passiert, und Schmidt wußte zwar von der nationalen Trauer, die ganz England erfaßt hatte, aber daß Charlotte so tief betroffen war, überraschte ihn wiederum. Ihre Anglophilie war ihm ganz neu, und er hatte mit Sicherheit nie erlebt, daß sie irgendein Interesse an den Geschmacksverirrungen der britischen Königsfamilie gezeigt hatte. Aber er spürte, daß er wieder am Rand eines Minenfeldes stand, und verhielt sich vollkommen ruhig.
Ja, das war auch sehr traurig, sagte er. Wie alt war sie? Einundvierzig, zweiundvierzig? Hatte sie nicht zwei Söhne?
Dad – das Wort klang schon fast wie Daad –, sie war sechsunddreißig! Nur vier Jahre älter als ich. Es ist so gemein, so schrecklich gemein, so unglücklich zu sein und keine Chance auf ein glücklicheres Leben zu haben!
Jetzt weinte sie wirklich und versuchte auch nicht, es zu verbergen.
Mein Schatz, sagte Schmidt, es tut mir so leid um sie, es tut mir so schrecklich leid, daß du so traurig bist.
Sie putzte sich die Nase und fuhr fort: Stell dir vor, gestern im Büro hat Olson, dieser Widerling – Schmidt erinnerte sich vage, daß einer der Geschäftsführer der Firma so hieß –, sie doch tatsächlich eine kleine Schlampe genannt. Er könne nicht verstehen, was das ganze Theater soll, hat er gesagt. Wenn ich nicht so unbedingt wieder arbeiten wollte, hätte ich ihm irgendwas an den Kopf geworfen – ich weiß nicht, was, vielleicht den Mülleimer. Der war voll mit halb ausgetrunkenen Kaffeebechern. Wäre ihm recht geschehen.
O je, sagte Schmidt, Menschen können so herzlos sein.
Ihm war klar, daß er durchaus fähig gewesen wäre, eine ähnliche, wenn auch wahrscheinlich nicht ganz so grobe Bemerkung zu machen. Immerhin, er hatte es nicht getan. Und als sie ihm erzählte, daß die Werbekampagne, an der sie mitarbeiten würde, ein Auftrag des Unternehmensverbandes der Kohleindustrie war, sagte er nur: O ja, das ist eine Industrie mit vielen einflußreichen Freunden, statt sich auf Charlottes Kosten eine der mokanten Bemerkungen über die Arbeit für die üblen Mächte des Bösen zu gönnen, die ihm sonst immer so leicht von den Lippen gegangen waren.
Jenny hat ein Foto von Lady Di auf ihrem Schreibtisch und davor eine brennende Kerze. Ungefähr so wie die Leute vor dem Buckingham Palace, die sie im Fernsehen gesehen hat.
Schmidt erinnerte sich, daß Jenny Josh Whites Tochter war, und hoffte, daß sie nicht die Wohnung in Brand stecken würde.
Wie alt ist sie, fragte er, ist sie noch im Friends Seminary?
Zwölf. Sie ist ein tolles Kind. Ja, sie ist noch im Friends. Dad, fuhr sie fort, ich rufe dich an, weil wir dieses unglaubliche Haus in Kent gefunden haben. Es wäre einfach perfekt, hat ein Atelier, das jetzt als eine Art Supergästezimmer benutzt wird, und einen künstlichen Teich. Morgen sehen wir es uns noch mal an. Das Geld, das ich für Claverack eingenommen habe, reicht nicht ganz. Hilfst du mir beim Kauf? Ich möchte keine Hypothek aufnehmen, wenn sich’s vermeiden läßt, weil ich sie nicht bedienen kann, soviel Einkommen hab ich nicht. Wenn ich kann, würde ich es lieber frei und ohne Lasten kaufen.
Sicher, ich helfe dir, erwiderte Schmidt. Mußt du viel reparieren lassen? Oder umbauen?
Nichts. Nur eine Schicht Farbe. Josh sagt, die klatscht er selber drauf. Das macht man wohl, wenn man Maler ist!
Sie lachte tatsächlich.
Schmidt überlegte sich, wieviel Kapital zum »Helfen« nötig würde, und beschloß, nicht zu fragen. Wieviel es auch sein mochte, er würde es flüssig machen. Zum Henker mit den Sorgen um die Schenkungssteuer und Steuervergünstigungen. Er hatte genug Geld, um die Ausbildung der Kinder zu finanzieren, wie er Carrie und Jason versprochen hatte, und er würde immer noch genug zum Leben haben, wenn er den Gürtel enger schnallte. Er würde Charlotte diesen Augenblick nicht verderben.
Das klingt gut, sagte er. Laß mich wissen, wie es weitergeht und wieviel dir fehlt, und such dir einen kompetenten Anwalt. Wenn du eine Empfehlung brauchst, kann ich mich umhören.
Das geht in Ordnung, Josh hat jemanden. Der ist ein Sunset-Hill-Absolvent wie ich und hat dort oben seine Kanzlei. Wir Ex-Sunsets müssen wohl
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