Schmidts Einsicht
zusammenhalten.
Sie lachte wieder und sagte dann erst: Muß los – zurZeit ihre übliche Abschiedsfloskel, eine, die Schmidt nicht auf die Nerven ging – und weg war sie.
Sy war ihm während des Telefonats auf den Schoß geklettert und schnurrte energisch. Das hieß, er wollte gefüttert werden und fand es diplomatisch, sich beliebt zu machen, ein Verfahren, das Schmidt allen, die sein Geld wollten, nur empfehlen konnte. Geschnurrt hatte Charlotte nicht gerade, aber wenn man bedachte, wie groß ihre Begabung für widerwärtiges Benehmen war, hatte sie sich recht erfolgreich um sein Wohlwollen bemüht. Der Hauptvorteil des Hauses war anscheinend, daß es dem noch unbekannten Mr. White sehr gelegen kam! Schon wollte er die Achseln zucken, beherrschte sich aber: Sy, dem unbedachte Gesten, Niesen und andere laute Geräusche zuwider waren, hätte sich erschrocken. Sy hatte ihm eine Lektion erteilt, die im Umgang mit Charlotte nützlich sein konnte, dachte Schmidt: Geduld haben und ihr die Initiative überlassen. Sie würde auch ihren Josh und seine Jenny vorzeigen, wenn sie meinte, es sei an der Zeit.
Eine Welt im Wahnsinn. In beklemmender Beständigkeit verbanden sich Charlottes Anrufe mit Nachrichten von Katastrophen und Schande. Vor Jahresende verurteilte eine Jury in einem Bundesgericht in Manhattan die Terroristen, die 1993 in der öffentlichen Garage unter dem World Trade Center eine Bombe gezündet hatten, während andere Terroristen in Ägypten über sechzig Touristen bei der Besichtigung des Tempels von Luxor erschossen. Das Weiße Haus roch nach Sexskandalen der miesesten Sorte, das Tempo widerwärtiger Enthüllungen nahm zu, bis nach einem Jahr niemand mehr im Land – vielleicht niemand auf der Welt mit Zugang zu einem Fernseher – sagen konnte, er wisse nichts von der netten, pummeligen jüdischen Praktikantin im Weißen Haus, die Präsidentensperma auf ihr blaues Kleid ausgespuckt hatte, eineFlüssigkeit, die Pornoköniginnen und -prinzessinnen zu Dutzenden und Aberdutzenden bis auf den letzten Tropfen aufgeleckt hätten; die das Kleid dann in ihren Schrank warf, statt es in die Reinigung zu bringen. In den letzten Tagen des Jahres wurde der Präsident zwecks Amtsenthebung verklagt, aber nicht bevor er Luftangriffe gegen den Irak angeordnet hatte, um Flugverbotszonen durchzusetzen. Vor diesem Warnschuß waren andere unheilschwangere und lange nachhallende Ereignisse eingetreten: Indien und Pakistan hatten Tests durchgeführt, um sich gegenseitig zu beweisen, daß sie die Bombe hätten; auf die US-amerikanischen Botschaften in Daressalam und Nairobi wurden Sprengstoffanschläge verübt, bei denen Hunderte ums Leben kamen und Tausende verletzt wurden; terroristische Basislager im Sudan und in Afghanistan wurden von US-Raketen überschüttet. In der Umgebung von Laramie, Wyoming, wurde ein stiller, schmächtiger schwuler Student gefoltert und totgeprügelt. Häufig rief Charlotte an, um gemeinsam mit Schmidt über diese und andere Katastrophen zu trauern. Ihm kam es geradezu wie ein Wunder vor, daß sie solche Gespräche mit ihm führte, daß sie aktuelle Ereignisse verfolgte und das Bedürfnis hatte, mit ihm darüber zu reden. Josh hatte er immer noch nicht kennengelernt – und sie hatte nicht angedeutet, daß sie eine Begegnung angebracht fände. Aber sie hatte Schmidt Fotos vom Haus in Kent geschickt und ihm tatsächlich für seinen ansehnlichen Beitrag zum Kauf gedankt. Er hoffte, daß sie die Umsicht besessen hatte, sich als Alleineigentümerin eintragen zu lassen, wagte aber nicht, danach zu fragen. In den alten Zeiten wäre das selbstverständlich gewesen, da Charlotte und Josh, soweit Schmidt wußte, nicht verheiratet waren, aber die Zeiten hatten sich geändert. Daß er Josh nicht kannte, war seltsam genug, aber noch seltsamer war es, daß er Charlotte seit seinem zweiten Besuch in Sunset Hill erst drei- oder viermal wiedergesehen hatte, nur kurz, bei einer Tasse Kaffee oder einem Sandwich. Er riskierte ihren Zorn mit einem Witz: Bilder vom Haus habe er ja nun, vielleicht wäre es ganz gut, wenn sie ihm auch ein Foto schicke, auf dem er sie sehen könne?
Bleib ruhig, Dad, sagte sie, ich sehe ganz ordentlich aus. Besser als bei deinem letzten Besuch. Ich habe sogar einen ordentlichen Haarschnitt.
Das klingt doch gut, dachte Schmidt, ich drücke ihr die Daumen. Sind ihre Worte und ihre allgemeine Lebhaftigkeit nicht Bestätigung genug? Wenn auf ihrer Wunschliste stünde, daß sie ihren Vater
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