Schmidts Einsicht
umgehängt. Außerdem trug Josh ein Gepäckstück, das Schmidt für Charlottes Handkoffer hielt. Und seine Tochter? Schmidt fand, sie sehe wieder so gut aus wie vor der Ehe mit Jon Riker: aufrecht, schlank, strahlend. Und ihre Kleider, Leinen und Khaki, wirkten, als hätte Mary beimEinkauf die Hand im Spiel gehabt. Im Wissen, daß er ihr den ersten Zug überlassen mußte, ging er ihr entgegen. Wundersamerweise küßte sie ihn! Ganz benommen vor Glück und Dankbarkeit schüttelte er Josh die Hand, küßte Jenny auf beide Wangen, sagte sich, wie vollkommen diese beiden Whites seien, es ist, als hätte ich sie schon immer gekannt, als wären sie immer schon hierhergekommen. Ich muß mir überhaupt keine Sorgen machen.
Charlotte, bring doch bitte Josh und Jenny ins Poolhaus. Eine kleine Runde im Schwimmbecken kann ich nur empfehlen. Wenn euch danach ist, kommt zum Lunch herüber. In der Küche habe ich ein paar Hummer, die unbedingt eure Bekanntschaft machen wollen.
Als er sich die Ereignisse dieses Wochenendes später ins Gedächtnis rief und jede einzelne Szene wieder und wieder gleichsam in Zeitlupe abrollen ließ, freute er sich an den Bildern von Charlotte – er war so stolz auf sie gewesen – und von ihrem Montag morgen am Strand. Unter einem wolkenlosen Himmel ein fast leerer Strand, denn die meisten Sommergäste hatten zuviel zu tun – sie mußten die gemieteten Häuser räumen und ihre Habseligkeiten vor der langen Heimreise in die Kombis laden und konnten weder den Sand, den das Wasser bei beginnender Ebbe frei von Fußspuren, strahlend weiß und hart und glatt zurückgelassen hatte, zu einem Spaziergang nutzen noch die langen, gleichmäßigen Septemberwellen zu einem Bad. Es war warm, fast dreißig Grad, aber vom Meer wehte eine schwache Brise, so daß die Luft sich frisch und leicht anfühlte. Sie waren alle ins Wasser gesprungen, aber während Charlotte, Jenny und Josh dicht am Ufer blieben und in der Brandung auf und nieder schaukelten, schwamm Schmidt parallel zum Strand, ließ sich mit der Strömung nach Osten treiben und sagte sich immer wieder einen Zauberspruch vor, der ihn trug und ihm, glaubte er, soviel Kraft gab, daß er bis nach Montauk hätte schwimmen können: Ich bin glücklich, ich bin dankbar, alles ist, wie es sein sollte. Aber bis nach Montauk wollte er nicht, seine kleine Familie – warum sollte er sie nicht so nennen – war vermutlich schon aus dem Wasser gestiegen und fragte sich, was sie wegen des alten Knackers auf Irrwegen unternehmen müßte. Um seine neue Kraft zu testen, schwamm er gegen die Strömung, kämpfte sich mit gewaltigen Zügen durch, erwischte eine Welle, die ihn wie ein Förderband ans Ufer trug. Hier bin ich, rief er.
Dann kam heraus, daß die Mädels – inzwischen bezeichnete er Charlotte und Jenny so – auf ihren Handtüchern vor der Düne liegen und lesen wollten. Er warf einen Blick auf die Umschläge ihrer Bücher. Charlotte las Die Stunden und Jenny Ethan Frome , eine Hausaufgabe für die Sommerferien, erzählte sie ihm, auch einen Aufsatz müsse sie darüber schreiben. Das erfüllte Schmidt ebenfalls mit Stolz. Seine Tochter, die Eins-A-Literaturstudentin, las ein erstklassiges Buch, und dieses Kind, das er liebend gern offiziell in seine Familie und sein Heim aufnehmen wollte, tat das gleiche. Er war nach dem Schwimmen wieder warm geworden und schlug Josh einen gemeinsamen Spaziergang vor. Wie sich zeigte, hielt Schmidts zukünftiger Schwiegersohn ein zügiges Tempo, sie liefen beide gleich schnell und freuten sich gemeinsam über die hervorragende Qualität des Sandes. Josh erzählte Schmidt erst von seinen Eltern – der Vater war Professor für amerikanische Geschichte an der University of Virginia und die Mutter Kinderärztin –, danach von seinem jüngeren und einzigen Bruder, der auch Arzt war und noch unverheiratet, hielt dann mitten im Satz inne und blieb stehen.
Schmidtie, sagte er, ich rede um den heißen Brei herum. Ich möchte dir etwas viel Persönlicheres erzählen. Aber wir können weiter laufen. Zuerst von meiner verstorbenen Frau. Es war ein langer Todeskampf. Sie hatte einen Eierstocktumor, der zusammen mit dem Uterus entfernt wurde, aber schon metastasiert hatte, und nach sechs Jahren starb sie schließlich. Jenny war damals neun. Sie hätte einen kleinen Bruder bekommen sollen. Der Krebs wurde erkannt, als Pam – meine Frau – Blutungen hatte. Sie war im sechsten Monat, aber das Baby konnte nicht gerettet werden. Bedenkt man,
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