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Schmidts Einsicht

Schmidts Einsicht

Titel: Schmidts Einsicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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Charlotte kein üppiges Leben zu erwarten, aber unsere Lage könnte sehr viel schlechter sein.
    Die Kinder – so nannte er sie jetzt – wollten gleich nach dem Mittagessen zum Haus in Kent aufbrechen, da Josh am nächsten Tag in Sunset Hill unterrichten mußte. Schmidt hielt es für weise Voraussicht, daß er bereits am Morgen ein Essen zusammengestellt hatte, das als Festmahl geplant war. Später hatte er Charlotte noch einenMoment für sich allein, während Josh das Gepäck ins Auto lud.
    Du machst etwas sehr Gutes, sagte er ihr, ihr werdet eine glückliche Familie sein.
    Ich weiß, antwortete sie, ich habe mir vorgenommen, mein Bestes zu tun.
    Die Nachricht kam dreieinhalb Stunden später. Schmidt war genau dreißig Minuten lang Bahnen geschwommen, das tägliche Pensum, das er sich zum Ziel gesetzt hatte, war unter der Dusche gewesen und wieder angezogen und hatte sich, noch einmal zur Feier des Tages, einen Gin-Martini zubereitet. Die Blackmans hatten ihn zum Abendessen um acht Uhr eingeladen, zusammen mit den üblichen Verdächtigen, wie Gil sagte: Mike Mansour und Joe und Caroline Canning. Als das Telefon klingelte, hob Schmidt eilends den Hörer ab, in der sicheren Überzeugung, daß Charlotte oder Josh ihn anriefen, um zu sagen, daß sie angekommen waren, und um ihm zu danken. Aber es war die Polizei. Es habe einen Unfall gegeben. Ob Schmidt nach Patchogue kommen könne? Ja, nach Patchogue, in das Brookhaven Memorial Hospital? Ob der Beamte Schmidt sagen könne, was passiert war? Das werde man ihm erklären, wenn er angekommen sei. Ob er eine Wegbeschreibung brauche? Schmidt schrieb sie auf, mit zitternden Händen, mußte sich die Angaben zweimal wiederholen lassen, bevor er sicher war, alles richtig verstanden zu haben. Dann rief er die Blackmans an, sagte, wohin er fahre, und stieg ins Auto.
    Der Unfall war auf dem Long Island Expressway geschehen, und er war sehr schwer. In einem Verkehrsstrom, der sich mit mindestens hundert Stundenkilometern bewegte, hatte ein achträdriger Laster, der eine Ladung stählerner T-Träger transportierte, unmittelbar vor JoshsKombi plötzlich gebremst. Einer der Träger löste sich, krachte durch die Windschutzscheibe vor dem Beifahrersitz, schlug Charlotte den Kopf ab, schoß weiter und zertrümmerte Jenny, die hinter Charlotte saß, den Schädel. Unter dem Aufprall steuerte Josh scharf nach links – oder hatte die Kontrolle über den Wagen verloren –, und ein SUV auf der linken Außenspur raste mit voller Wucht seitlich in den Kombi und gegen die Fahrertür. Josh starb auf dem Weg ins Krankenhaus. Wie sie Schmidt gefunden hätten? Die Wegbeschreibung zu seinem Haus mit seinem Namen und seiner Telefonnummer habe zusammen mit den Autopapieren im Handschuhfach des Wagens gelegen.
    Ja, Schmidt konnte die Leichen identifizieren und dem Polizeioffizier dank der Unterhaltung mit Josh am Strand auch sagen, daß die nächsten Verwandten des Mannes und des jungen Mädchens in Charlottesville zu finden seien. Papiere waren zu unterzeichnen.
    Dann ging er, gestützt von dem Polizeioffizier, der sah, daß Schmidt wankte, eine Tasse schwarzen Kaffee trinken, anschließend zum Urinieren auf die Toilette, und als er sich danach beim Händewaschen im Spiegel sah, fragte er sich laut: Warum sollte dieser Mann am Leben bleiben?

XXIII
    Die Antwort auf diese weitreichende Frage war für Schmidt ganz einfach. Er hatte keinen Grund, weiterzuleben, nur eine unerschütterlich gute Gesundheit – eher als an einer Krankheit würde er bei einem Unfall sterben, und für diesen Fall hoffte er, sein Tod würde genauso plötzlich eintreten wie Charlottes – und kein Bedürfnis, sich selbst umzubringen. Nach Marys Tod hatte er an Selbstmord gedacht und sich die Möglichkeiten dazu durch den Kopf gehen lassen: vollbekleidet in eine schwere Brandung waten und so weit hinausschwimmen, wie er konnte, ein Gambit, das garantiert zum Ertrinken auch eines guten Schwimmers führte; Reste der Pillen schlucken, die für Mary verschrieben worden waren, einschließlich solcher, die ihr das Ende hätten erleichtern sollen, aber nicht nötig gewesen waren. Was hatte ihn damals aufgehalten? Er hatte die Courage verloren und dies als Mitleid mit dem eigenen Körper bemäntelt, der nicht darauf vorbereitet war, vom Wasser überrollt und gegen den Meeresboden geschleudert zu werden; und genötigt durch die Verfügbarkeit der Pillen, die weder Gewalt noch übermenschliche Anstrengungen erforderten, hatte er die nach

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