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Schmidts Einsicht

Schmidts Einsicht

Titel: Schmidts Einsicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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sich offenbar verfinstert, denn sie lächelte wieder, diesmal seinetwegen, und sagte: Sei nicht so, Schmidtie, ich kann meine Essensverabredung nicht rückgängig machen, Serge und ich essen nicht allein, sondernmit unserem Chef. Es ist wichtig. Jetzt hör auf zu schmollen, komm her – sie klopfte neben sich auf das Sofa – und verführ mich.
    Er humpelte durch verlassene Straßen zu seinem Hotel zurück, lehnte an der Ecke der Rue Cambon die Dienste einer Professionellen mit grüngefärbtem Igelhaar ab, die wegen der späten Stunde nur den halben Preis verlangte. Verführung, wohl wahr! Aber wer war der Verführer gewesen? Er, der schwerfällige, ungehobelte Fremdling mit dem sprießenden weißen Stoppelbart, oder sie, die ihn in ihr Bett geholt und mit Zärtlichkeit überschüttet hatte? Aus welcher Quelle schöpfte sie? Gab es noch Worte und Gesten, die sie zurückgehalten hatte und nur einem Mann schenken würde, den sie liebte, Schätze, die vielleicht – nein bestimmt – allein Tim gekannt hatte? Hatte sie ihn in all den Zärtlichkeiten und Bewegungen gesucht, Tim, so, wie er dem Anschein nach gewesen war, als er sie mit Schmidt bekannt gemacht hatte? Er nahm nicht an, daß er je eine Antwort auf diese Fragen hören würde, selbst wenn es eine gäbe. Sie hatte ihn zur Tür gebracht, zum Abschied die bloßen Arme um seinen Hals gelegt, sich an ihn gepreßt, daß er die Glut ihres nackten Körpers heiß durch seine Kleider hindurch spürte, und Ja gemurmelt, ja, das wäre sehr schön, als er sagte, er werde bald wiederkommen. Er würde das Versprechen halten. Und wenn es noch so außergewöhnlich scheinen mochte: Er war sich sicher, daß er sie wirklich liebte, »in echt« – dieses Wort aus der Kindersprache drängte sich ihm auf.

VII
    In der Frühe war ein Bombenattentat auf das Federal Office Building von Oklahoma City verübt worden. Laut CBS gab es mindestens einunddreißig Tote, zwölf davon Kinder aus dem Kindergarten im zweiten Geschoß, viele Vermißte, wahrscheinlich unter den Trümmern verschüttet. Chaos herrschte, und niemand wagte Vermutungen über die Zahl der Toten oder Lebenden anzustellen. Aber die Erde dreht sich, und Vorstandssitzungen in Gebäuden, die nicht beschädigt waren, mußten weitergehen, also war niemand überrascht, daß Mr. Mansour die Sitzung seiner Gründungsdirektoren um Punkt zwölf Uhr eröffnete. Auf seinen Vorschlag wurden die Verhandlungen jedoch, nach dem Sandwich-Lunch und vor Mr. Albert Schmidts Bericht, für dreißig Minuten unterbrochen, und in dieser Pause sah die Gruppe die Einuhrnachrichten auf CNN, starr vor Entsetzen über die Bilder und stumm. Dann meldete sich ein rotgesichtiger Mann, den Schmidt nicht kannte, mit dem Kommentar, daß er die Handschrift muslimischer Terroristen in dem Anschlag erkennen könne, und zog sich damit Mr. Mansours Tadel zu. Der Finanzmagnat, der in Ägypten geboren und anfangs dort und in Marokko aufgewachsen war, betrachtete sich selbstverständlich als Fachmann in allen den Nahen Osten betreffenden Angelegenheiten. Die Frage ist, erklärte er dem unseligen Sprecher, während in seiner rechten Hand wie durch Zauberei Betperlen aus Elfenbein auftauchten und sofort im Stakkato gegeneinanderklickten, die Frage ist, was Sie sagen würden, wenn Al Ahram morgen eine Geschichte druckt, in der behauptet wird, daß dieses Attentat die Handschrift von Juden trägt, Sie verstehen, Juden, die versuchen, Arabern das Attentat anzuhängen. Das ist Unsinn, würden Sie sagen. Genau solcher Unsinn ist das, was Sie gerade behauptet haben. Sie sollten sich schämen, dermaßen voreilige Schlüsse zu ziehen und den Mund aufzumachen, wenn Sie nicht wissen, wovon Sie reden. Schmidt war schon aufgestanden, um seinen Vortrag zu halten, setzte sich aber wieder, in der Erwartung, daß der abgestrafte Direktor den Raum verlassen oder vielleicht sogar von seinem Amt zurücktreten werde. Nichts dergleichen geschah. Statt dessen hörte er, daß Mr. Mansour ihn aufrief, mit dem Bericht zu beginnen, auf den sie schon alle gewartet hätten.
    Als er zum Ende gekommen war, hatte Schmidt das Gefühl, viel länger als angemessen geredet und seine Zuhörer verloren zu haben. Offenbar war es aber nicht so. Das Beste, was dir je passiert ist, sagte ihm Mr. Mansour, als die Sitzung vorbei war, das Allerbeste, was dir je passiert ist, war deine Chance, mit mir herumzuhängen. Gescheit bist du geworden. Fast schon wie ein Jude.
    Danke für das Kompliment, Mike, erwiderte

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