Schmidts Einsicht
uns später unterhalten? Kuß, Kuß, Kuß …
Seine Nachricht erwähnte sie nicht. Aus Vergeßlichkeit?Hatte sie nicht zugehört? War ihr Anrufbeantworter womöglich defekt?
Mit beinahe zitternden Händen wählte er ihre Nummer und stellte dabei fest, daß er sie nicht mehr in seinem Notizbuch nachsehen mußte. Sie war jetzt eine der wenigen Nummern, die er im Kopf hatte. Die Verbindung brach ab, und er dachte schon daran, aufzulegen und noch einmal neu zu wählen, aber bevor er das tat, war sie wieder da. Er ließ es klingeln und klingeln und wartete auf die Aufforderung, nach dem »bip sonore« zu sprechen. Schließlich – er zählte die Klingeltöne schon nicht mehr – brach die Verbindung wieder ab. Dafür gab es nun zwei wahrscheinliche, gleich ärgerliche Erklärungen: Entweder hatte sie den Anrufbeantworter abgestellt, oder er war defekt. War es ihm wichtig zu erfahren, was davon zutraf? Der springende Punkt – das war die Wendung, die er in Memoranden für seine Mandanten benutzt hatte – bestand darin, daß sie immer noch außer Haus war. Viertel vor zehn Pariser Zeit. Wenn sie zum Essen ausgegangen war, wäre der Versuch, sie vor sechs – bei ihr wäre es Mitternacht – zu erreichen, eine frustrierende, unsinnige Übung. Normalerweise inspizierte er nach einer längeren Abwesenheit die Außenseite des Hauses und den Garten und wanderte durchs Haus. Aber diesmal stand ihm nicht der Sinn danach. Statt dessen ging er die Treppe hinauf und packte aus. Ein großer Vorteil der luxuriösen Unterkünfte, die Mr. Mansour ihm aufgedrängt hatte, bestand darin, daß er keine schmutzige Wäsche hatte außer der vom Vortag und der, die er am Leib trug. Die Hotelwäscherei hatte alles erledigt und, wie er ungern zugab, viel besser als Pani Basia aus seiner polnischen Putzkolonne, die seine Weißwäsche und alles andere im Haus, das gereinigt und gebügelt werden mußte, in ihre Obhut genommen hatte. Nachdem er die Anzüge auf Bügel gehängt, Hemden, Unterhosen, Socken und Taschentücher verstaut hatte, zog er seinen Pyjama an und legte sich ins Bett. Er hatte nicht gemerkt, wie müde er war, und da er fürchtete, nicht vor dem nächsten Morgen aufzuwachen, wenn er erst einmal eingeschlafen war, stellte er den Wecker auf sechs Uhr. Um die Zeit wollte er ihre Nummer wieder wählen. Sy tauchte aus dem Nichts auf. Mit einem Sprung war er auf dem Bett und schmiegte seinen schnurrenden Leib an Schmidt. Vielleicht wußte er, daß Schmidt Gesellschaft und Zuneigung brauchte.
Ich war auf einer Party mit Übernachtung, sagte sie, als er erzählte, er habe sie am vergangenen Abend mehrmals angerufen.
Mit Übernachtung? fragte er.
Ja, erwiderte sie, eine meiner Kolleginnen gab in ihrem Haus in St. Cloud ein Abendessen. Es zog sich so lange hin, daß ich nicht ohne Mühe mit dem Zug nach Paris zurückgekommen wäre, mit dem Auto wollte ich nicht fahren und mich auch nicht von jemandem mitnehmen lassen, weil wir zuviel getrunken hatten. Also blieb ich über Nacht bei Claude und fuhr heute morgen mit ihr im Auto zum Büro. Sie nimmt ihr Auto immer mit.
Es war hart: Namen, die er nicht kannte, Häuser, die er nicht gesehen hatte und wahrscheinlich nie sehen würde, Gewohnheiten, mit denen er nicht vertraut war.
Wie schön! sagte er.
Ja, Claude ist meine beste Freundin im Büro. Vielleicht meine beste Freundin tout court . Sie wird dir gefallen! Ihr Ressort sind wissenschaftliche Werke über die moderne Gesellschaft. Ihren Mann wirst du bestimmt auch mögen. Er ist ein sehr bekannter Anwalt, François Larbaud. Ein pénaliste . Sagt man das so? Er verteidigt Angeklagte, die schwerer Verbrechen beschuldigt werden. Er ist im Gespräch als nächster bâtonnier . Das ist der Präsident der Pariser Anwaltskammer.
Wieder ein flüchtiger Einblick in Alices rätselhafte Welt. Wie würde er sich darin zurechtfinden?
Strafverteidiger, würden wir wohl sagen, antwortete er. Vielleicht Spezialist für Wirtschaftskriminalität, wenn es um gewaltfreie Verbrechen geht. Ich vermute, die Leute im Pariser Büro von W & K kennen ihn.
Sofort wünschte er sich, er hätte die Firma nicht erwähnt, aber sie schien nicht verstört zu sein.
Tim kannte ihn natürlich – teilweise durch mich. Sie trafen sich regelmäßig zum Lunch.
Liebes, sagte Schmidt im Gefühl, daß die Unterhaltung nirgendwohin führte, alles, was ich für dich empfinde, ist nur intensiver geworden. Du fehlst mir, und ich möchte mit dir zusammensein. Ich wünschte, du
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