Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schmidts Einsicht

Schmidts Einsicht

Titel: Schmidts Einsicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
Vom Netzwerk:
zu sprechen; es hielt ihn davon ab, sich auf die einfachsten Routinearbeiten zu konzentrieren. Sie sei an ihrem Schreibtisch, sagte man ihm in der Telefonzentrale. Einen Augenblick danach war sie am Apparat.
    Alice, sagte er, diese traurige Angelegenheit in der Klinik hat sich stabilisiert. Charlotte wird morgen entlassen. Sie geht nach Hause. Ich möchte und muß dich sehen. Übermorgen kann ich in Paris sein. Ich kann das ganze Wochenende bis Montag morgen bleiben. Wir können an einen schönen Ort auf dem Land fahren, wenn du gern außerhalb von Paris sein möchtest. Oder wenn es dir lieber wäre, können wir uns vielleicht anderswo treffen – in London oder Madrid. Ich muß den größten Teil der nächsten Woche im Büro sein. Wenn also dieses Wochenende für dich ungünstig ist, könnte ich am Wochenende danach kommen, um den Dreiundzwanzigsten. Bitte sag ja zu dem einen oder anderen Datum oder am besten zu beiden!
    Schweigen. Sie sah wohl im Kalender ihres Notizbuchs nach. Als sie wieder sprach, erklärte sie ihm, es gebe so viele Komplikationen, sie könne gar nicht alle aufzählen, einige hätten mit ihrem Vater zu tun, andere mit ihrer Arbeit. Ob sie ihn zurückrufen könne? Um ein Uhr seiner Zeit? Oder später, zum Beispiel um sechs Uhr abends? Sie gehe zum Essen aus, müsse aber vorher nach Hause, um sich umzuziehen.
    Bitte um eins, sagte Schmidt. Ich darbe. Du fehlst mir sehr.
    Als sie anrief, war es halb zwei. Es sei etwas dazwischengekommen. Es tue ihr leid, aber weder das kommende Wochenende noch das danach seien frei. Wieder führte sie die Komplikationen an, alle möglichen Komplikationen, zu langweilig, um sie einzeln aufzuzählen. Aber danach stehe eine Geschäftsreise in die Vereinigten Staaten auf ihrem Plan, ob etwas daraus würde, wisse sie allerdings noch nicht.
    Wirklich! rief Schmidt, dann besuch mich!
    Schmidtie, sagte sie, bei aller Liebe, versuch dich zu erinnern, wie hart Mary arbeiten mußte, um sich in ihrem Beruf zu halten, und sie hatte so viele Erfolge, so viel Einfluß. Ich muß mich bei jedem Schritt bewähren. Wenn es zu dieser Reise kommt, wird sie nur Arbeit sein. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ich mich davon befreien kann, aber wenn sich herausstellt, daß es geht, will ich es tun. Du bist jedenfalls da, oder?
    Das ist schrecklich, dachte Schmidt. Wenn ich noch auf dem College wäre und sie eine Radcliffe-Studentin, auf die ich es abgesehen habe, müßte ich mir sagen, die führt mich ich an der Nase herum. Aber wir sind erwachsen! Wir haben uns geliebt. Sie hat aufgeschrieen, wenn sie zum Höhepunkt kam, sie war so überschwenglich, ihr Gesicht wild und voller Freude. Wie kann das sein?
    Alice, sagte er, ich bin von Tag zu Tag mehr überzeugt, daß das, was ich für dich empfinde, Liebe ist. Nicht kindische Schwärmerei, sondern die Liebe eines Mannes, eines erwachsenen Mannes: das Wahre. Ich habe eine schlimme Zeit hinter mir. Ich muß in deinen Armen sein. Bitte finde ein paar Tage – was sage ich, einen einzigen Tag! – an dem du mich sehen kannst, und ich will zu dir kommen, wo immer du mich haben willst.
    Schmidtie, bei aller Liebe, wiederholte sie. Es ist nicht so einfach. Laß uns reden, aber nicht jetzt. Du wirst doch in der Gegend sein? Jetzt kann ich dir nur Küsse schicken, scheffelweise, das ist alles, was ich tun kann.
    Im Kühlschrank fand sich etwas Gruyère und ein Baguette vom letzten Wochenende. Er schlang beides heißhungrig hinunter, das Brot in der einen, den Käse in der anderen Hand. Immer noch nicht satt, fand er einen Zipfel ungarische Salami und aß auch ihn, ohne die Wurstpelle abzuziehen. Kaffee zu kochen, war ihm zu mühsam. Er wusch sich Gesicht und Hände, putzte sich die Zähne und ging hinaus. Im Poolhaus war alles still, aber Carries kleines Kabrio stand in der Einfahrt. Sie war sicher zu Hause.
    Darf ich reinkommen? rief er leise, um das Baby nicht zu wecken.
    Genauso leise antwortete sie: Ja.
    Sie saß am Küchentisch vor der ausgebreiteten New York Times .
    Hi, sagte er. Wie geht’s Klein-Albert?
    Schläft, flüsterte sie. Wurde aber auch Zeit! Er hat mich ganz leer getrunken.
    Schlaues Kerlchen, flüsterte Schmidt zurück. Es ist so ein herrlicher Nachmittag. Möchtest du nicht kurz schwimmen gehen? Danach kannst du deine Einkäufe machen. Ich bleibe hier und passe auf meinen Namensvetter auf.

XV
    So benahmen sich eigentlich nur Teenager, aber trotzdem beschloß er am nächsten Morgen, daß er Alice nicht anrufen werde. Sie

Weitere Kostenlose Bücher