Schmierfinken - Politiker ueber Journalisten
TV-Seher vergesslich. Ergo: Der Politiker muss mit Folgen rechnen, der Journalist selten.
Als damals neue Abgeordnete habe ich diese Mechanismen nachhaltig kennenlernen dürfen. Ein TV-Team begleitete mich einen Tag lang. Irgendwann saß ich am Schreibtisch über Post und Ordnern und warf einen belanglosen Zettel in den Papierkorb mit den Worten: »Ablage P.« Dieser Fernsehschnipsel wird immer wieder mal gerne hervorgezogen, wenn man etwas mit der Botschaft braucht: So gehen Volksvertreter mit Bürgerpost, Gesetzesvorlagen, Kontoauszügen oder Liebesbriefen um. Es lebe das Klischee, das schnelle eingängige Urteil. Kein Wunder, dass Politiker wenig Lust verspüren, auch noch freiwillig Munition zu liefern für die eigene Hinrichtung. Im unverbindlich Ungefähren lebt es sich wesentlich sicherer - aber auch ziemlich lauwarm.
Immer wieder wird bemängelt, dass das Verhältnis zwischen Politik und Medien in Berlin so vergiftet sei im Vergleich zu den kuscheligen Tagen in Bonn. Stimmt. Denn das Misstrauen von uns Volksvertretern ist immens, es ist gewachsen. Wir wägen ab: Vertrauen wir einem Journalisten, weil wir ein Thema wichtig finden, und riskieren damit, dass wir massiv beschossen werden? Oder sagen wir uns pragmatisch: Angesichts der Skandalisierungslust schließen wir die Schotten lieber. Emotional neige ich zur ersten Variante, rational dagegen radikal zur zweiten.
Ich mache den Journalisten keinen Vorwurf, im Gegenteil. Ich verstehe ihre Motive. Es sind nur nicht die meinen. Hilfreich ist es, zu überlegen, wessen Anerkennung die Medienvertreter am Ende wollen. Natürlich immer die
des Chefredakteurs. Der entscheidet über Gehaltserhöhung und Aufstieg. Und was will der Chefredakteur? Im Zweifel immer Krawall. Mit netten, informativen Beiträgen macht man keine Medienkarriere. Sondern mit Anklage, mit Kritik, mit Enthüllung. Oder wenigstens mit Geschichten, die nach investigativem Journalismus aussehen. Hinzu kommt der Druck, den eine wachsende Zahl nicht immer sachkundiger Info-Schnipsel-Sammler untereinander erzeugt, die seit der Digitalisierung der Medien 24 Stunden am Tag gegeneinander mit immer eiligeren Zuspitzungen antreten.
Der Stereotypen-Sprech, der uns vielfach zu Recht vorgeworfen wird, ist nichts anderes als eine Schutzhaltung gegenüber leichthändig fabulierenden Medienvertretern. Wenn jedes Nasekratzen bereits interpretiert wird, werden wir uns hüten, mit Ideen oder Plänen an die Öffentlichkeit zu gehen, bevor sie nicht von allen Seiten abgesegnet sind. Doch die Diskussion unterschiedlicher Meinungen ist nicht so sexy wie die Schlagzeile: Streit! Dabei macht dieser Streit das Wesen der Demokratie aus: Verschiedene Positionen kämpfen mit- und gegeneinander dafür, eine gemeinsame Lösung zu finden. Ich fände es eher erschreckend, wenn wir in jeder Fraktionssitzung von Anfang an einer Meinung wären. Über 200 Menschen in der CDU/ CSU-Fraktion aus ganz Deutschland sollen alle unabhängig voneinander das Gleiche denken? Unmöglich. Präreflexionale Gleichschaltung geht auch bei größter Parteiund Fraktionsräson nicht. Da werden eben Argumente und Sichtweisen abgewogen und gegenübergestellt. Je intensiver dieser Prozess, desto ernsthafter ist das Ergebnis. Ein Segen, wenn dies häufig, intensiv und öffentlich passieren würde.
Entscheidungen sind ja keine nächtlichen Eingebungen - zumindest nicht immer und überall. Ja, es wäre wünschenswert, wenn Reformvorschläge öffentlich und ausgiebig diskutiert würden. Doch eine komplexe Diskussion scheint sich medial wie Kaugummi zu ziehen. Da bringen Reizworte wie »Zoff« oder »Streit« schon einen ganz anderen Schwung für den Lesefluss. Deshalb wollen führende Politiker ungern ergebnisoffen debattieren lassen: Jede Idee würde binnen Stunden zerrupft. Und je komplexer das Thema, desto banaler die Debatte. Journalisten, die wegen wachsender Aufgabenlast immer weniger Zeit haben, sind geradezu gezwungen, sich auf ein paar Schlagworte zu stürzen oder einfach nur das abzuschreiben, was die Leitmedien vorgeben. Mehr Medien bedeuten nicht automatisch mehr Pluralität, sondern oft das Gegenteil: die Suche nach der Mitte und dem Alles - aber schnell und an der Oberfläche. Die Politik zieht sich daher, aus Selbstschutzreflexen, zurück in die Grauzonen, die sicher sind vor öffentlicher Beobachtung und die sich kommunikativ halbwegs kontrollieren lassen.
Paradox, aber wahr: Medien erzeugen erst die Hinterzimmerpolitik,
Weitere Kostenlose Bücher