Schmierfinken - Politiker ueber Journalisten
sagt er selbst. Tillack hat sich das schwerste Feld vorgenommen. Schwer deshalb, weil klar ist: Wer sich für den Dreck der anderen interessiert, der kommt selbst nicht mit sauberem Hemd aus der Geschichte
raus. Hinzu kommt: In der Politik arbeiten die Menschen mit Elefantengedächtnis. Wer einmal unten durch ist, der bleibt es lange.
Tillacks beruflicher Weg ist schnell erzählt und sieht nach einem klassischen, ordentlichen Journalisten-Karriereverlauf aus: Abitur, Studium (Politik, Soziologie, Philosophie und Psychologie) mit Abschluss als Diplom-Soziologe, parallel dazu freier Mitarbeiter in Regionalzeitungen ( Kornwestheimer Zeitung , Ludwigsburger Kreiszeitung ). Dann Aufstieg in die nächste Liga: die taz , dort von der Landespolitik in die Bundespolitik, damals noch in Bonn. Er wechselt zum Stern , berichtet aus Bonn und macht anschließend einen weiteren Karriereschritt: Auslandskorrespondent in Brüssel.
Die fünf Jahre in Brüssel haben ihn berühmt gemacht. Fast im Alleingang hat er die EU-Institutionen in Panik versetzt. Bis das Imperium zurückschlug, der Stern sich einschüchtern ließ und ihn nach Berlin zurückversetzte. Wie auch immer man zu ihm steht, anzuerkennen ist: Die EU zu schütteln, das ist eine herausragende Leistung.
»Brüssel war mein Wendepunkt«, sagt Tillack. Brüssel war zunächst auch seine Traum-Station. Multikulti fand und findet er »geil«, der Anblick des 12-Sterne-Banners löste bei ihm Pathos aus. Seine Arbeit begann er mit Porträts über den Kommissionspräsidenten und andere EU-Matadoren, er schrieb Reportagen. Bald schon nahm er den EU-Arbeitsalltag jedoch ganz anders wahr: als Bermudadreieck aus unredlichem Umgang mit Steuerzahlergeldern, Vetternwirtschaft und demokratieferner Politik. Die Überschriften der Artikel aus dieser Zeit lesen sich entsprechend: »Wo die Gier regiert«, »Instinktlose Trips«, »Saubermanns Flüge«, »Volle Taschen«. Hans-Martin Tillack
stieg in die Grauzonen des EU-Haushalts ein: Er beleuchtete fragwürdige Statistiken, undurchsichtige Ausschreibungen und Auftragsvergaben, Bevorzugung bei Personalentscheidungen. Er deckte Skandale beim Amt für Betrugsbekämpfung der EU auf. Er berichtete von persönlicher Vorteilsnahme und Interessenvermischungen der Europaabgeordneten.
Ja, und? Was ist daran besonders, ist das nicht die Aufgabe von kritischem Journalismus, könnte man fragen. In Berlin wäre es das auch.
Aber Brüssel tickt anders. »In der EU-Hauptstadt regiert der von The Economist so betitelte ›Brussels Consensus‹, den die meisten Akteure teilen, seien sie Beamte, Lobbyisten oder Journalisten«, sagt Tillack. Dazu gehörten mehrere zentrale Glaubenssätze: Die europäische Integration müsse weiter voranschreiten; für Probleme seien vorrangig die Mitgliedsstaaten verantwortlich; die Diskussion über Brüsseler Missstände bestätige nur die Stammtisch-Stimmung und sei daher schädlich. »In der Brüsseler Wagenburg sieht man sich gerne von ungebildeten Massen umgeben. Kritik an Missständen in der EU-Kommission gilt aus Sicht einiger deutscher EU-Korrespondenten explizit als Domäne der ›Boulevardpresse‹, im Gegensatz zur sogenannten ›seriösen Presse‹. Aber kann es Aufgabe der seriösen Presse sein, den ›Dauerjubel‹ für die EU-Institutionen zu organisieren?«, fragt Tillack. Wen wundert es, dass er sich mit solchen Äußerungen auch bei den deutschen Journalisten in Brüssel kaum Freunde machte.
Die EU-Hauptstadt befindet sich nach wie vor im vormedialen Zeitalter: Kein privater deutscher Fernsehsender ist dort vertreten, genauso wenig die Bild -Zeitung. Der
Spiegel hat gerade mal einen Korrespondenten (im Berliner Büro sind es mehr als 20 Journalisten). Die EU-Institutionen bezahlen für Berichterstattung oder produzieren gleich eigene Beiträge. Ein Rechercheur und Enthüller wie Tillack, dem es völlig egal ist, ob er nervt oder nicht, passt nach Brüssel wie die Faust aufs Auge. »Ich habe keine Mission, aber ich will helfen, besser zu verstehen, was passiert«, sagt er. Zunehmend entfernt vom Brüsseler Mainstream schreibt er 2003 ein Buch: Raumschiff Brüssel. Wie die Demokratie in Europa scheitert. Zentrales Problem sei in der EU: Es gibt keine Opposition, sondern eine All-Parteien-Regierung. Dadurch gäbe es keinen Anreiz für Europaabgeordnete, Opposition zu sein, denn sie würden in der Folge isoliert.
Mit solch offen ausgesprochener Kritik stellt er sich diametral gegen die übliche
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