Schmierfinken - Politiker ueber Journalisten
Berichterstattung, wie zum Beispiel die in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung , der die vordemokratischen Zustände im Europäischen Parlament verklärt: »Das Europaparlament agiert bei diesem Dossier zwei Legislaturperioden lang so, als habe es eine gemeinsame Identität, über alle politischen Fraktionen hinweg. Es lässt sich nicht auseinanderdividieren. Berichte (…) werden oft mit null Gegenstimmen verabschiedet. Störrisch versucht das Parlament immer wieder, den Widerstand der Regierungen gegen zu weitreichende und teure Regelungen zu brechen.« Ist es nicht eher ein Skandal, wenn Kommunisten, Sozialdemokraten, Grüne, Liberale, Konservative und Rechtsradikale alle an einem Strang ziehen? Müssten da nicht viel mehr die Alarmglocken in einer kritischen Öffentlichkeit ringen? Tillack dazu: »Natürlich macht jeder Journalist Fehler. Berichtet ein Blatt regelmäßig falsch zuungunsten einer Person oder Institution, kann diese sich immerhin juristisch dagegen wehren.
Wird aber regelmäßig zu positiv berichtet, fällt diese Kontrolle weg.«
Tillack geht in seiner Kritik noch weiter. Seine Stärken sind eben auch seine Schwächen: Spürsinn, Unerschrockenheit, Hartnäckigkeit. Er verbeißt sich in Themen und beklagt den Gefälligkeitsjournalismus in der EU-Berichterstattung: »Ein besonderes Tabu-Thema scheint für viele deutsche EU-Korrespondenten der Brüsseler Umgang mit Steuergeld zu sein.« Als Beispiel nennt Tillack den jährlichen Bericht des Europäischen Rechnungshofs über finanzielle Missstände. »Der Jahresbericht des Bundesrechnungshofs findet in der Süddeutschen Zeitung und der FAZ stets auf den vorderen Seiten in Mehrspaltern statt - der Bericht des Europäischen Rechnungshofs manchmal gar nicht.« Nebenbei: 2008 verweigerte der Europäische Rechnungshof zum 14. Mal in Folge sein Testat, wegen zu hoher Unzuverlässigkeiten im EU-Haushalt.
Die Alleinstellung im deutschen Journalistencorps ist die Folge seiner Arbeitsweise. Aus den EU-Institutionen Kommission, Parlament und Betrugsbekämpfungsamt gibt es Warnungen: Wer mit Tillack zusammenarbeitet, erhält keine Informationen mehr. So schrieben die SPD-Abgeordneten im Europäischen Parlament in seltener Einigkeit einen Brief an die Chefredakteure und den Herausgeber des Stern : »Wir sind nicht bereit, uns diese herabwürdigende Behandlung weiterhin gefallen zu lassen. Deshalb haben wir SPD-Abgeordneten beschlossen, den Kontakt mit ihrem Brüsseler Korrespondenten Herrn Tillack einzustellen.«
Aber Hans-Martin Tillack blieb bei seiner Arbeitsweise. »Es ist unehrlich und unprofessionell, eine Geschichte nicht zu machen. Wenn du es hast, musst du es machen.« Er
kann vielleicht auch nicht anders. Seine Familie ist tief protestantisch, den Arbeits- und Verantwortungsethos hat er verinnerlicht. Ein Großvater war Missionar, sein Vater war Pfarrer in der DDR. Nach dem Mauerbau wird die Familie in den Westen ausgewiesen, von Königs Wusterhausen nach Stuttgart. Aus seiner Schulzeit kennt er das Gefühl, isoliert zu sein: Er sprach in der Schule als einziger hochdeutsch, nicht schwäbisch wie seine Mitschüler.
Insofern war es fast ein Déjà-vu, dass Tillack nicht am »übertriebenen sozialen Leben zwischen den deutschen Korrespondenten« teilnahm. Er orientierte sich international, was in Brüssel leichter ist als in jeder anderen Stadt. Konsequenterweise saß er auch im Pressesaal nicht bei den Deutschen. »Ich mache mir jedes Mal, mit jeder Geschichte, neue Feinde, aber auch neue Freunde. Ich hatte eine Nische gefunden.« Die Feinde der Feinde geben ihm Informationen, bei Skandalthemen melden sich die Informanten zunehmend von selbst. »Durch meine Arbeit habe ich neue Kontakte in die EU-Institutionen bekommen, habe in der Zusammenarbeit auch viel Dankbarkeit erfahren. Das war eine Kompensation für viele Anfeindungen.«
Diese Dankbarkeitsbezeugungen durch Weitergabe von Informationen und Dokumenten waren der EU zunehmend lästig. Der Gegenschlag blieb nicht aus, und er war massiv. Im März 2004, um sieben Uhr morgens, durchsuchten sechs belgische Polizisten Tillacks Brüsseler Privatwohnung. Sie nahmen seinen privaten Computer, Telefone, Terminkalender und sein Adressbuch mit. Dann fuhren die Polizisten ihn in einem alten Ford Mondeo zu seinem Büro, wo sich die Durchsuchungsaktion zu einem Medien-Spektakel entwickelte. Obwohl von Polizisten eskortiert, gelang es Tillack dennoch, Büronachbarn im Brüsseler
Pressehaus zuzurufen,
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