Schmierfinken - Politiker ueber Journalisten
Haltung, sein ungebrochenes politisches Rückgrat machen ihn zu einer journalistischen Ausnahmeerscheinung. Dabei lässt er sich nicht allein von der pragmatischen Einsicht leiten, wohlfahrtsstaatliche Sozialmodelle seien schlicht effizienter. Vielmehr ist es der normative Veränderungswille, der einer gerechten, humanen Gesellschaft den Vorzug gegenüber produktionsmaximierter Marktwirtschaft gibt, oder - wie Prantl selbst schreibt: »Der klassische Kapitalismus reklamiert den Vorrang des Produktionsfaktors Kapital gegenüber dem Produktionsfaktor Mensch. (…) Ein geläuterter Kapitalismus muss demokratieverträglich sein. In der Demokratie gibt es, im Gegensatz zum Unternehmen, keine ›überflüssigen‹ Menschen.«
Ein Schmierfink ist er also gewiss nicht, unser Dorian Gray. Fragt sich nur, wo und wie sich die hässliche Fratze seines Alter Ego zeigt. Dabei ist es gar nicht so schwer zu finden.
Als Bundestagsabgeordneter begegne ich ihm in Gestalt des einen oder anderen von Prantls Kollegen immer wieder, sowohl in Berlin als auch in meinem nordhessischen Wahlkreis. So ruft es etwa in meinem Büro an und beginnt ein Gespräch mit den wenig vertrauenerweckenden Worten: »Könnten Sie sich vorstellen, folgenden Satz zu sagen?« Es ist an meinen eigenen Überlegungen gar nicht interessiert. Der Artikel ist schon längst geschrieben. Jetzt bedarf es nur noch eines Stichwortgebers, der das Spiel mitzumachen bereit ist.
Es ist - wie so oft - ein Geben und Nehmen: Du kommst in die Medien - aber bitte zu meinen Bedingungen. Gerne lauern TV-Journalisten Abgeordneten vor oder im Reichstagsgebäude auf, stellen bei laufender Kamera unvermittelt Fragen. Wir kennen das aus dem Fernsehen - kommerziell wie öffentlich-rechtlich: Peinliche Volksvertreter - entweder sind sie ahnungslos, entscheiden nur zu ihrem persönlichen Vorteil oder lassen sich von Lobbyisten die Hand führen. Hier geht es nicht um kritische und sorgfältige Recherche, sondern allein um die Bestätigung vorschnell getroffener (Vor-)Urteile, mit billigen Methoden erkauft.
Journalisten wie Heribert Prantl sind gefürchtete Gesprächspartner. Auch und gerade mancher Lokaljournalist gehört dazu. Akribisch vorbereitet bringen sie einen mit kundigen Fragen mitunter in Bedrängnis. Sie sind im besten Sinne parteiisch - im Dienste der Sache oder der Region. Das Prantlsche Alter Ego hingegen bereitet sich nicht mehr vor. Zu selten stellt es mir Fragen, die zumindest erahnen lassen, dass zuvor in Eigenarbeit ein wenig Zeit und Mühe für Recherche geopfert wurde. Ich weiß, ich weiß, der Kostendruck ist an allem schuld. Allerorten höre ich die Klagen über ausgedünnte Redaktionen, mangelnde Kapazitäten
und stressige Terminhetze. Ganz sicher ist da etwas dran. Nicht wenige Journalisten stehen unter Druck, arbeiten zu schlechten Bedingungen und sind sich ihres Arbeitsplatzes nicht sicher. Solche Sorgen plagen Heribert Prantl freilich nicht.
Aber nicht allein der Personalabbau im Mediensektor ist ursächlich für einen schnelllebigen, sensationszentrierten und verflachenden Journalismus. Vom grassierenden Virus der Politikverdrossenheit ist eben auch eine wachsende Zahl von Journalisten infiziert. Ich vermisse Interesse an politischen Entwicklungen. Ich vermisse bei aller notwendigen Kritik Leidenschaft für unsere parlamentarische Demokratie. Ich vermisse Respekt gegenüber Politikern, vor allem den Hunderttausenden von Ehrenamtlichen, die sich vor Ort in ihrer Freizeit für das Allgemeinwohl engagieren. Ich vermisse Verständnis für den Streit, das bisweilen schwerfällige und zeitraubende Ringen um politische Entscheidungen. Ich vermisse den differenzierten Blick. »Die Politiker« gibt es eben genauso wenig wie »die Journalisten«.
Es wird immer schwieriger, Aufmerksamkeit zu erzielen für Projekte und Ereignisse, die Teil der politischen Arbeit, insbesondere im Wahlkreis, sind. Um nicht missverstanden zu werden: Man muss sich nicht gemein machen. Und allzu große persönliche Nähe zwischen Politikern und Journalisten ist wenig hilfreich. Im Übrigen sind Heribert Prantl und ich uns persönlich nie begegnet. Aber Politik und Journalismus sind einander fremd geworden. Man versteht sich immer öfter nicht mehr. Das halte ich für bedenklich.
Abgeordnete sind heutzutage Redakteure in eigener Sache. Oder sie haben einen Pressesprecher, der es Journalisten
erspart, eigenständig und eigenverantwortlich zu recherchieren und zu berichten. Wofür
Weitere Kostenlose Bücher