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Schmierfinken - Politiker ueber Journalisten

Schmierfinken - Politiker ueber Journalisten

Titel: Schmierfinken - Politiker ueber Journalisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maybrit Illner , Hajo Schumacher
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kehrten, sagten: »Es ist nicht das Geld, es ist nicht die Arbeit, es ist Gafron.« Und: »Er behandelt seine Mitarbeiter wie Muppets.« 12
    Unternehmerisch hat er nie eine freiheitliche Kultur walten lassen, wie er sie selbst an den westlichen Staaten doch so liebte. Gafron herrschte. Und Gafron gab Gnade.
Jeden zweiten Samstag öffnete er sich dem Kummer seiner Mitarbeiter. Er hatte Mitleid. Wem er gewogen war, dem stand er auch bei. Seine Gnade und sein Mitleid waren groß. Nur ist das nicht Freiheit. Das ist Gutsherrenart.
    Kader oder Vorzeigesozialisten gefallen dem Parteibüro. Wer Gafron gefiel, bestimmte nur er. Vor Gott sind bekanntlich alle gleich. Aber nicht vor Gafron. »Denn der eine ist faul, der andere fleißig. Ich finde das schlimm an diesem westdeutschen Sozialismus, dass alles nivelliert wird.« 13 Die Gleichnisse im Neuen Testament sehen anders aus.
     
    Gafron ist ein politischer Feldherr ersten Ranges. Seine Freunde hießen Kohl und Kirch, seine Feinde Schröder und Fischer. Es muss ihn unglaublich gewurmt haben, dass es ausgerechnet die Alt-68er waren, die Deutschland in den Bündnisfall trieben. Gegen den erbitterten Widerstand vieler friedensbewegter und linker Gruppen in Deutschland befehligten sie den ersten deutschen Kriegseinsatz nach dem Zweiten Weltkrieg, den Balkankrieg. Und Georg Gafron wurde nicht müde eins draufzusetzen. Er mahnte: »So wie es nur ein bisschen schwanger nicht gibt, gibt es auch keine halben Kampfeinsätze.« Und er kommandierte: »Schickt endlich Panzer!« 14 Er sah sich in der Rolle, die Bundesregierung weiter in den Krieg treiben zu müssen.
     
    Bei näherer Betrachtung ist es einfach, Gafron als Spieler zu sehen. Jemand, der sich einfach nur wohl in der Dschungelgesellschaft fühlt. Sonst wäre es einfach unfassbar gewesen, was ein Zeitungsmacher da treibt: historisches Harakiri und Spaltung der Gesellschaft. Unermüdlich nutzte er jede Gelegenheit, die rot-grüne Bundesregierung ins
Fadenkreuz zu nehmen. Schröder und »Joseph« Fischer waren für ihn schlicht der »Spaßkanzler« und »der noch amtierende Außenminister«. 15
    Und Fischer war schuld an der RAF. Denn »diese arrogant-elitäre Gesinnung war es, die schließlich zur Blutspur des Terrorismus der 70er Jahre führte«. 16 Die Rot-Grünen waren ihm einfach zuwider.
    Heute ist klar: Gafron hatte nicht nur Unrecht, er zockte auch mit dem gesellschaftlichen Frieden. Der »gestern Steinewerfer, heute Außenminister« 17 sei »höchstens ein Vorbild für die Menschen im Knast.« 18 Würde man über Angela Merkel heute Ähnliches konstruieren - etwa: »Kohls Mädel enteignet Banken! Wann stoppt die CDU VEB-Angie?« -, es wäre eine Randnotiz für die Titanic , aber nicht Schlagzeile in den auflagenstärksten Zeitungen Europas. Aber so ist es mit dem konservativen Boulevardjournalismus. Man hat keine andere Wahl, als drüber zu stehen, sich lustig zu machen, wie es die taz oder Harald Martenstein im Tagesspiegel ständig taten. Ein linker, alternativer Boulevard müsste erst noch erfunden werden. Trotzdem wäre es zu leicht, Gafron nicht ernst zu nehmen. Denn irgendwer musste ihn ja tragen. Und unglaublich viele Leute lesen ihn unhinterfragt Tag für Tag.
     
    Neben gesellschaftlichen Themen und der Außenpolitik ist es die Lokalpolitik, in der Gafron unglaubliche Pirouetten drehte. Ich wollte es nicht glauben. Die Redaktion von Hundert,6 soll in den Tagen des 9. November 1989 ernsthaft darüber diskutiert haben, eine Debatte um die »Beton-Cadillacs in Form der nackten Maja« von Wolf Vostell am Rathenauplatz aufzumachen. »Das ist doch piefigstes Westberlin!«, sagte ich. »Das ist auch Gafron!«, bekam ich von jemandem zurück, der damals dabei war.
Und es passt tatsächlich. Es traf mal wieder die Tragik eines Georg Gafron: Er beschwor bereits 1987 - relativ exotisch zu der Zeit - die Wende, indem er erklärte, weshalb die DDR untergehen musste. Aber als es darauf ankam, verging ihm der Mut oder es verließ ihn sein Gespür: Georg Gafron wollte nicht über die Einheit, sondern über den Rathenauplatz reden. Dagegen waren selbst wir Grünen - »Alle reden von Deutschland - wir reden vom Klima!« - noch aufrechte Patrioten. Grüne und andere Parteien links der Mitte können von Glück sagen, dass Springer es damals eben nicht nachhaltig gelungen ist, das Lebensgefühl der Stadt zu treffen.
     
    Noch so eine Fehleinschätzung Gafrons illustriert der Satz: »Berlin ist eine neurotische, aggressive Stadt

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