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Schmierfinken - Politiker ueber Journalisten

Schmierfinken - Politiker ueber Journalisten

Titel: Schmierfinken - Politiker ueber Journalisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maybrit Illner , Hajo Schumacher
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Dialektik: Weil man Menschen wie Alice Schwarzer bewunderte, konnte man ihnen nicht unwidersprochen Recht geben.
    Dieses, sagen wir, strukturelle Unwohlsein zuzugeben, soll gegen ein Vorurteil feien. Ich will mich nicht an Alice
Schwarzer abarbeiten. Vielmehr lieferte Alice Schwarzer die letzten zwei Jahre erstaunliche Belege dafür, dass die moralisierende Haltung ihres Journalismus an ihr Ende gekommen ist. Nicht, weil ihre Haltung nicht mehr zur Wirklichkeit passen würde - das wäre auch eine Beschreibung für Idealismus -, sondern weil sie die kritische Distanz zur Wirklichkeit immer mehr vermissen lässt.
     
    Ich erinnere mich an einen Tag im Frühsommer 2007. Ich kam vom Einkaufen und wäre, mit den Einkaufstüten am Lenker ohnehin in instabiler Seitenlage, vor Schreck fast gegen eine Laterne gefahren. Frau Schwarzer strahlte von einem Plakat der Bild -Zeitung. Sie war die Mutige, die eine Wahrheit aussprach. Mochte der Spruch in der Vergangenheit noch einige Glaubwürdigkeit für sich reklamieren, seine Gegenwart auf diesem Plakat widerlegte ihn. Das Zentralorgan für Angst, Hass und Titten, von Alice Schwarzer einst der »Verhurung« der Frauen gescholten, mit ihrer PorNO-Kampagne bekämpft, nahm ihm die Legitimität.
    Vielleicht hätte Alice Schwarzer die Aktion mit ein wenig emmarischer Selbstironie noch retten können. Allein, ihr Ton war rechthaberisch, als sie erklärte: »Doch ich habe zugestimmt. Ganz einfach, weil ich finde, dass es nicht schaden kann, wenn in so einer Runde - von Gandhi bis Willy Brandt - auch mal eine Frau auftaucht. Und eine sehr lebendige noch dazu«, verkündete sie.
    Solche Argumentation hält auch Sarah Palin für einen Fortschritt. Sie stellt »gender« vor »agenda«, das Geschlecht vor Politik und damit diskreditiert sie letztlich ihren eigenen Anspruch. Denn sie übernimmt den Diskurs des Gegners. Auf dieser Ebene kann sich Frau Schwarzer prima mit Journalisten wie Matthias Matussek streiten. Der eine
sagt: »Männer sind so«, die andere sagt: »Männer sind ganz anders« - beide sagen sich kräftig die Meinung. Doch dass die männliche Wirklichkeit heute längst weiblicher ist, dass die Männer oft die Alliierten von Frauen sein wollen und dass es eher gesellschaftliche, materielle denn biologische Zwänge sind, die echte Gleichberechtigung verhindern, wird durch die plumpe Biologisierung überblendet.
     
    Ein knappes Jahr später zollte Alice Schwarzer in einem Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung der Diktatur in Burma ihren Respekt. Dass die Militärdiktatur eine miserable Frauenquote hat, hat sie dabei beflissentlich übersehen. Nichts gegen eine differenzierte Beschreibung von landestypischen Zuständen und nichts gegen den begründeten Argwohn, dass die westlichen Geheimdienste schmutzige Spiele treiben - aber Schwarzers Sympathie für die burmesische Militärjunta speiste sich nicht aus kritischem, liberalem, aufgeklärtem Denken, sondern aus seinem Gegenteil. Bevölkerung und Regierung werden in einen Topf geworfen, Linkssein und Gutsein in einen anderen.
    Wie es in Burma zugeht, weiß ich nicht. Aber lesen kann ich. Schwarzers Artikel atmete das Verlangen nach einem Retro-Sozialismus samt pittoreskem Nationalismus. Solche Berichterstattung diskreditiert das Prinzip der Berichterstattung. Und sie stellt seine Voraussetzungen in Frage. Diese lautet in diesem Fall: Es gibt ein klares linkes Ich-habe-Recht-Schema. Sie wiederholen politisch, was im Geschlechterdiskurs schon schief ist: Die Sehnsucht nach unhinterfragbarer Autorität. Ob aber »links« als Präfix von links-autoritär und links-liberal noch taugt, das ist noch nicht mal ein Fragehorizont.

    Etwa gleichzeitig mit dem Burma-Artikel trennten sich Alice Schwarzer und ihre Nachfolgerin als Emma -Chefredakteurin, Lisa Ortgies, im Unguten. Öffentlich wurde gestritten, ob Ortgies gegangen ist oder gegangen wurde - aber das verstellt nur den Blick auf den eigentlichen Skandal. Dieser bestand im Vorwurf Alice Schwarzers, Ortgies hätte die Familie der Arbeit vorgezogen. Dabei ist überhaupt nicht relevant, ob das so gewesen ist oder nicht, relevant ist der Versuch, politische Diskrepanzen durch auf Privates zielende Vorwürfe zu diskreditieren.
    Wäre Frau Schwarzer Herr Schwarzer und hätte diesen Vorwurf gemacht, sie wäre als Chef untragbar gewesen. Der Kampfruf der Frauenbewegung der 70er - »Das Private ist politisch!« - ist von einer Schutz- zu einer Schmutzkampagne geworden, die weit mehr

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