Schmuddelkinder - Lenz sechster Fall
engen Straße beschleunigt hätte. Der
Hauptkommissar stoppte, drehte den Kopf und riss die Augen auf. In genau dem
Moment, in dem der Fahrer des Wagens das Gaspedal durchgetreten hatte, stürmte
zwischen zwei am Bordstein geparkten Autos ein Mann los, der keinen Meter weit
kam, bevor er von dem Kombi mit voller Wucht erfasst wurde und in hohem Bogen
durch die Luft flog. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte Lenz, in der
rechten Hand des Mannes die Klinge eines Messers aufblitzen zu sehen, doch er konnte
sich genauso gut getäuscht haben.
Der Passat, der den Mann
erfasst hatte, verlangsamte nun abrupt, doch das eingeleitete Bremsmanöver kam
zu spät. Die schwere Limousine krachte mit großer Wucht gegen einen Kleinwagen
auf der anderen Straßenseite. Im dadurch verursachten Krach schlug der Körper
des Mannes, der durch die Luft gewirbelt worden war, wie in einem Stummfilm auf
dem Asphalt auf und blieb in einer seltsam verformten Haltung liegen. Maria
schlug die Hände vors Gesicht und fing laut an zu schreien.
»Was ist da los, Paul?«
Lenz, der die Szene noch
immer mit völligem Unverständnis betrachtete, stieß sie von sich weg und
drückte ihr den Schlüssel in die Hand. »Geh rein und ruf den Notarzt. Bitte,
mach schnell.«
Sie reagierte sofort,
suchte nach dem richtigen Schlüssel und fummelte ihn ins Schloss.
Nach einem kurzen Blick
zu dem leblosen Körper auf dem Asphalt drehte Lenz den Kopf und sah sich den
Passat genauer an, durch dessen Seitenfenster er erkennen konnte, dass der
Airbag langsam in sich zusammenfiel. Dahinter, über das ganze Gesicht blutend
und mit leerem Blick durch die geborstene Scheibe, erkannte er das Profil
seines besten Freundes.
»Scheiße«, murmelte er.
»Verdammte Scheiße, was machst du denn hier?«
Dann sprintete er los.
*
»Uwe«,
schrie der Kommissar. »Uwe, hörst du mich?«
Uwe Wagner öffnete
kraftlos das linke Auge und versuchte, den Kopf zu drehen.
»Bleib so, Junge, und
beweg dich bloß nicht«, forderte Lenz ihn auf. »Der NAW ist gleich da.«
Der Pressesprecher
hustete bellend und sah mit beiden Augen nach links. Dann deutete er mit der
zitternden Hand auf den Beifahrersitz. »P … aul, da«, keuchte er.
Lenz trat einen Schritt
zur Seite, um an seinem Freund vorbeisehen zu können. Auf dem Sitz neben ihm
lag nichts. »Was meinst du denn? Was soll ich machen?«
»Da«, hechelte Wagner
erneut und deutete wieder auf den Beifahrersitz. In der Ferne hörte man die
Sirenen von mehreren Signalhörnern.
»Da!«
Dem Hauptkommissar
stiegen Tränen in die Augen. Er hatte keinen Schimmer, was er tun sollte. Die Sekunden
verrannen, und noch immer war nur das Signal der Martinshörner zu hören. Dann,
endlich, schoss der erste Rettungswagen mit quietschenden Reifen um die Ecke.
Wenig später stoppte der Kleinbus etwa 30 Meter von ihm entfernt. Er hörte
laute, aber souveräne Kommandos. Irgendwann wurde er von energisch zupackenden
Armen zur Seite geschoben.
»Paul«, hörte er Marias
Stimme hinter sich. »Paul, lass die Leute ihren Job machen.«
Er wischte sich eine
Träne aus dem Gesicht, trat aus dem Weg und sah dabei zu, wie ein rot
gekleideter Notarzt Uwe Wagner ins linke Auge leuchtete und danach ein
Stethoskop aus der Tasche zog. Nun stand Maria neben ihm.
»Kennst du den Mann?«,
fragte sie leise.
Lenz nickte. »Das ist
mein Freund und Kollege Uwe Wagner. Du hast ihn kennengelernt, als die Sache
mit dem Anschlag auf das Zirkuszelt war. Kannst du dich erinnern?«
Sie warf einen Blick auf
den blutenden Mann, der nun von zwei Rettungssanitätern aus dem Wagen gehoben
wurde. »Nein, tut mir leid, ich erkenne ihn nicht.«
Der Hauptkommissar drehte
sich um und sah nach hinten, wo ein anderes Rettungsteam über dem auf der
Straße liegenden Unfallopfer kniete. Einer der Männer drückte rhythmisch auf
den Brustkorb des Mannes, ein anderer zog gerade eine Spritze auf.
»Wie ist das alles passiert?«,
wollte Maria wissen. Lenz kam nicht zu einer Antwort, weil sich ihm ein
Uniformierter näherte.
»Sind Sie Zeuge des
Unfalls gewesen?«, erkundigte er sich höflich.
Lenz stellte sich vor und
beantwortete seine Frage. »Wir wollten eben ins Haus gehen, als der Kombi in
die Straße einbog. Der Fahrer ist übrigens Uwe Wagner, ein Kollege von uns.« Er
deutete auf den Mann auf der Straße. »Der da ist ohne Vorwarnung und ohne zu
schauen einfach auf die Fahrbahn gesprungen.«
Der
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