Schmuddelkinder - Lenz sechster Fall
das Vordach der
Eingangstür, drückte auf den Lichtschalter, und warf einen Blick auf das
oberste Blatt in seiner Hand. Darauf war ein Schwarz-Weiß-Foto mit ihm als
Motiv zu sehen. Irritiert sortierte er die einzelnen Blätter, bis sich das
ganze Ausmaß der Katastrophe für ihn abzeichnete.
»Shit«,
murmelte er, und las die ersten Zeilen des Textes.
› WAS LÄUFT SCHIEF
BEI DER KASSELER POLIZEI?
‹, stand dort
in großen Lettern.
Mit › ÄLTERER MANN
VON BRUTALEN KRIMINALPOLIZISTEN FAST ZU TODE GEPRÜGELT!
‹ ,
ging es weiter.
› ER HAT MICH OHNE
GRUND BRUTAL ZUSAMMENGESCHLAGEN, SAGT EIN GASTWIRT AUS ROTHENDITMOLD
.‹
Lenz las kopfschüttelnd
Seite für Seite, bis er kurz vor dem Ende zum Höhepunkt der Story kam.
› UND DIESER MANN
HAT, NACH INFORMATIONEN AUS GEWÖHNLICH GUT UNTERRICHTETEN KREISEN, NUN AUCH
NOCH UNSEREM ALLSEITS BELIEBTEN OBERBÜRGERMEISTER ERICH ZEISLINGER DIE FRAU
AUSGESPANNT.
‹
Ihm wurde einen
Augenblick lang schwarz vor Augen, weil er während des Lesens die Luft
angehalten hatte. Als er wieder klar im Kopf war, schlug er mit der Faust gegen
einen Träger des Vordachs.
»Jetzt reicht’s«, zischte
er.
*
»Aber
du hast mir doch zu verstehen gegeben, dass wir uns aus dieser Mediengeschichte
nichts machen sollen«, hielt Maria ihm vor, nachdem sie zweimal den Aufmacher
der Lokalzeitung vom nächsten Tag gelesen hatte. »Und wenn, wie du sagst, sich
die Sache mit diesem Fuchs ganz anders abgespielt hat, dann hast du doch auch
von dieser Seite nichts zu befürchten.«
Der Hauptkommissar nickte
müde. »Dann steht immer noch Aussage gegen Aussage, Maria. Auf der einen Seite
Thilo und ich, auf der anderen der Schrottplatzbetreiber. Und selbst wenn sich
irgendwann herausstellen sollte, dass die ganze Geschichte erstunken und
erlogen ist, bleibt immer was davon hängen.«
Sie nahm ihn zärtlich in
die Arme. »Ich bin bei dir, Paul. Wir halten aus, was auf uns zukommt. Und den
Rest auch noch, was immer es sein sollte.«
»Du bist lieb«, erwiderte
er mit der Andeutung eines Lächelns. »Aber jetzt muss ich telefonieren. Ich
muss Thilo anrufen und ihm klarmachen, was da morgen in der Zeitung stehen
wird.«
Maria legte die Hand auf
seinen Arm. »Macht es dir was aus, wenn ich zuerst ein Gespräch führe?
Vielleicht ist deins wichtiger, aber ich möchte, dass du neben mir sitzt, wenn
ich telefoniere.«
Lenz sah auf die Uhr an
seinem Handgelenk und blickte sie skeptisch an. »Mit wem willst du denn um
diese Uhrzeit telefonieren?«
Sie verstärkte den Druck
auf seinen Arm. »Lass mich einfach machen, Paul. Ich verspreche dir, dass
alles, was du gleich hören wirst, die Wahrheit ist, und dass ich nie darüber
sprechen wollte, aber nach heute Abend und dem Artikel in der Zeitung ist das
vorbei. Ich will, dass man uns in Ruhe lässt, und ich bin bereit, meinen Teil
dazu beizutragen.«
Seine Skepsis potenzierte
sich.
»Bitte …«, sagte sie
leise und griff zum Telefon. »Wo muss ich draufdrücken, wenn ich die
Freisprechfunktion anschalten will?«
Er deutete auf eine
Taste.
»Danke«, hauchte sie und
fing an zu wählen. Der Hauptkommissar konnte ihre Aufregung förmlich spüren.
Dann drückte sie die Taste, auf die er gedeutet hatte, und hielt sich das Gerät
vor den Mund.
»Ja«, meldete sich eine
bellende Männerstimme nach dem zweiten Klingelton. Offenbar hatte der
Angerufene noch nicht geschlafen.
»Ich bin es, Maria.«
»Maria! Ich wusste, dass
du zur Vernunft kommen würdest. Wo bist du?«
Ohne Frage telefonierte
sie mit ihrem zukünftigen Exmann. »In meiner neuen Wohnung. Mit meinem neuen
Partner.«
Stille in der Leitung.
Maria Zeislinger wartete nicht, bis Erich Zeislinger etwas einfiel.
»Ich will dir kurz was
erzählen, Erich. Und ich will nicht von dir unterbrochen werden, verstanden?«
»Wie du willst«,
antwortete der Oberbürgermeister nach einer erneuten Bedenkzeit schnippisch.
»Zunächst«, fuhr sie
fort, »läuft hier ein Band mit, nur für den Fall, dass du auf dumme Gedanken
kommen solltest wegen meines Anrufs, also vergiss es besser gleich.«
Lenz sah sie erschrocken
an, fummelte sein Mobiltelefon aus der Tasche und drückte ein paar Tasten. Nun
stimmte wenigstens ihre Ansage.
»Ich weiß, was morgen
über Hauptkommissar Paul Lenz in der Zeitung stehen wird. Und ich weiß, was
über Paul Lenz und mich in der Zeitung stehen wird. Aber am besten weiß ich,
wer hinter dieser
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