Schmuddelkinder - Lenz sechster Fall
Polizisten das ganze Schrottplatzgelände abgesucht hatten,
war nicht aufzufinden gewesen.
»Und es kommt noch
besser«, feixte Hain. »Wir müssen jetzt nämlich zu Herrn Witsch und uns die
Daten abholen, die er hoffentlich für uns rausgesucht hat.« Sein Blick traf
sich mit dem seines Chefs. »Na, die Daten der Heimbewohner auf der Gruppe von
Bauer und Liebusch. Die Zöglinge.«
»Ja, ich weiß«, erwiderte
Lenz matt. »Aber vielleicht ist es besser, du gehst allein da rauf und holst
den Kram, Thilo. Ich weiß nämlich nicht, ob ich den Kerl heute Morgen aushalten
kann.«
Hain lächelte nur müde.
»Das könnte dir so passen. Entweder beide oder gar keiner, das ist der Deal.
Und weil wir die Liste brauchen, müssen wir wohl oder übel beide in den sauren
Apfel beißen.«
»Vielleicht …«, wollte
Lenz erwidern, wurde jedoch vom Klingeln seines Telefons dabei gestört.
»Lenz«, meldete er sich.
Am anderen Ende war Rüdiger
Ponelies.
»Was gibt’s, Rüdiger?«
»Ich habe hier eine junge
Frau, die gern mit dir sprechen würde. Es geht um den Fall der beiden toten
Erzieher.«
»Was will sie denn?«
»Sie will nur mit dir
darüber reden.«
»Scheiße«, murmelte Lenz.
»Ist es wenigstens wichtig?«
Ponelies stöhnte auf.
»Hör auf, mich zu löchern, Paul, ich weiß es nicht. Könnt ihr nicht mal für ein
paar Minuten hier vorbeikommen? Sie sitzt draußen auf dem Flur und sieht
wirklich unglücklich aus.«
»Ich bin in fünf Minuten
da. Gib ihr ein Glas Wasser, vielleicht macht sie das in der Zwischenzeit
glücklich.«
»Vergiss es«, drohte
Hain, noch bevor Lenz’ Telefon wieder in der Sakkotasche verschwunden war.
»Was denn nun schon
wieder?«
»Du hast gesagt, dass du
gleich da sein wirst. Dabei hattest du vermutlich die Vision, dass ich doch als
Solist bei diesem irren Alkoholiker auflaufe, aber das kannst du, wie gesagt,
voll vergessen. Was gibt es denn im Präsidium?«
»Eine junge Frau will
mich sprechen.«
»Dich? Warum macht sie
denn so was?«
Die
junge Frau saß aufrecht auf einem Stuhl vor Lenz’ Bürotür und las in einer
Zeitschrift.
»Annalena Seute«, stellte
sie sich vor. »Ich komme wegen der Sache mit den beiden ehemaligen Erziehern
aus dem Karlshof in Wabern.«
Lenz bat die blonde Frau
in sein Büro und bot ihr ein Glas Wasser an, das sie höflich ablehnte. Dann
setzte er sich. Hain nahm neben ihr Platz.
»Also, was können wir für
Sie tun, Frau Seute?«
»Es geht um einen Freund
von mir. Eigentlich um seinen Vater, um genau zu sein.«
»Was ist mit ihm?«
»Er war im Karlshof. Als
Heimbewohner.«
Die beiden Polizisten
wurden schlagartig hellhörig.
»Wann war das?«, fragte
Lenz.
»So genau weiß ich das
gar nicht. Aber 30 Jahre ist es bestimmt her, sagt Jens.«
»Jens ist der Sohn?«
»Ja. Wir sind in Fritzlar
ein paar Jahre zusammen zur Schule gegangen, als sein Vater dort stationiert
war. Und jetzt tanzen wir manchmal gemeinsam.«
»Und mit diesem Jens
haben Sie über die beiden getöteten Erzieher gesprochen?«
»Ja, heute Morgen. Mein
Freund und ich waren mit ihm zum Frühstück verabredet, aber Jens war völlig
durch den Wind. Wir haben fast nur über diese Sache geredet.«
»Was hat Herr …?«
»Schlieper. Sein Vater
heißt Werner Schlieper.«
»Was hat dieser Herr
Schlieper mit den Getöteten zu tun? Wissen Sie etwas darüber?«
»Herr Schlieper ist
Ausbilder bei der Bundeswehr. Er hat, wenn ich es richtig verstanden habe,
seinen Heimaufenthalt bei der damaligen Bewerbung verschwiegen, und das macht
ihm jetzt schwer zu schaffen. Er meint wohl, dass er deswegen richtig Ärger
bekommen könnte.«
»Aber das ist doch schon
so viele Jahre her«, gab Hain zu bedenken.
»Das habe ich Jens auch
gesagt, aber das ändert ja nichts. Sein Vater ist völlig aufgelöst wegen der
Geschichte. Er hat auch Angst, dass die Polizei ihn an der Arbeit aufsucht und
ihn befragt.«
»Wissen Sie, ob er die
Erzieher kannte, um die es geht?«
»Ganz sicher, ja. Jens
hat mir vorhin erzählt, dass er mit seinem Vater die ganze Nacht
zusammengesessen hat, und da hat Herr Schlieper zum ersten Mal so richtig über
die Zeit damals erzählt. Er war auf einer Station untergebracht, wo die beiden
ermordeten Erzieher zuständig waren.«
»Hat er davon gesprochen,
welche Station oder Gruppe das gewesen ist?«, wollte Hain wissen.
»Nein, tut mir leid,
darüber haben wir nicht geredet.«
Lenz kratzte sich hörbar
Weitere Kostenlose Bücher