Schmusekatze, jung, ledig, sucht
Küchentisch hatte liegen lassen, wo sie nach überraschend kurzer Suche auch auf ihr Telefon gestoßen war. » Wenn Sie nicht zufällig Ihr bösartiger Zwillingsbruder sind, glaube ich Ihnen. Kommen Sie rein«, forderte sie ihn auf. Als sie die Tür hinter ihm geschlossen hatte, ergänzte sie : »Aber ich will auf jeden Fall eine gute Erklärung dafür bekommen, wie Sie mich gefunden haben.«
Er blieb stehen und drehte sich zu ihr um. »Robert Clauser. Ich möchte mich ja wenigstens noch offiziell vorstellen.«
»Angenehm«, entgegnete sie. »Christine Hansen, aber die meisten nennen mich Chrissy.«
Clauser nickte lächelnd. »Gilt das für mich auch?«
»Bis auf Weiteres ja«, bestätigte sie und musste unwillkürlich das Lächeln erwidern, weil es so ansteckend wirkte. »Und vielleicht sollten wir bei der Gelegenheit auch gleich zum Du übergehen. In den Mails haben wir uns ja auch schon geduzt. Da wäre es eigentlich etwas seltsam, wenn wir jetzt wieder per Sie sind.«
»Robert«, sagte er und gab ihr abermals die Hand.
»Chrissy … wie gesagt.« Sein Händedruck war fest, aber nicht unangenehm fest, was ihr schon mal gefiel – von seinem Äußeren ganz zu schweigen. Er war das, was sie liebend gern als Volltreffer bezeichnet hätte, aber genau das wollte sie noch nicht machen. Nicht, dass sie besonders pessimistisch war, doch ein Mann, der so gut aussah und so sympathisch rüberkam, weckte bei ihr immer Argwohn, weil sie befürchtete, dass er jeden Moment eine Bemerkung von sich gab, die den guten Eindruck zunichtemachte.
»Kann ich Ihre … deine Jacke haben?«, fragte sie und hasste sich dafür, dass ihre verdammte Fantasie im Geiste die Frage nachlegte : Und das Hemd auch?
»Oh … ja, gern, danke«, erwiderte er und zog die Jacke aus.
Sie nahm sie und hängte sie an die Garderobe, dann drehte sie sich zu Robert um und sah ihn von Kopf bis Fuß an. Er trug keinen Anzug, sondern nur ein Jackett zu einer dunkelgrauen Jeans und einem schwarzen Rollkragenpullover, der wie angegossen saß und erkennen ließ, dass an diesem Körper kein Gramm Fett zu viel sein konnte. Nein, als muskulös hätte sie ihn nicht bezeichnet, aber er konnte nicht völlig unsportlich sein.
»Habe ich die Musterung bestanden?«, erkundigte er sich und zog ironisch eine Augenbraue hoch. Dabei setzte er ein schiefes Grinsen auf, bei dem ein Grübchen in seiner Wange erschien. So wie auf seinem Passfoto trug er auch jetzt einen Zwei- bis Dreitagebart.
»Ich … was?«, stammelte Chrissy, die erst jetzt bemerkte, dass sie ihn unverhohlen angestarrt hatte. Hoffentlich waren das nur ein paar Sekunden gewesen, auch wenn es ihr innerlich wie zehn Minuten vorkam. »Entschuldige, aber … na ja, ich war nicht auf Besuch eingestellt.« Sie deutete ihm mit einer Kopfbewegung an, ihr zu folgen. » Wir können uns ins Wohnzimmer setzen, ich muss ein wenig zusammenräumen. Ich habe mich nämlich daran gemacht, die Belege für meine Steuererklärung zu sortieren.« Sie betrat vor ihm das Wohnzimmer und begann, die sortierten Kassenzettel in alte Briefumschläge zu stecken, damit die nicht wieder durcheinandergeraten konnten. »Du siehst, ich hatte tatsächlich nicht mit Besuch gerechnet.«
»Tja, das war dann wohl ein klassisches Missverständnis«, gab er zurück und wunderte sich : »Da sorgt deine Schmusekatze nicht für Unordnung, während du Belege stapelst? Mein Tiger wäre da schon längst durchgerannt, um alles durch die Luft zu wirbeln.«
»Nein, nein, das ist … kein Problem«, versicherte sie ihm, ohne zu wissen, wovon er eigentlich redete. Es war bei den Mails ja schon eigenartig gewesen, wie er von sich in der dritten Person gesprochen hatte und dafür in die Rolle des »Stubentigers« geschlüpft war. Aber dass er damit jetzt weitermachte, das war … seltsam. Vielleicht war es ja seine Art, mit der Nervosität umzugehen, die so ein erstes Date mit sich brachte. Hoffentlich war das seine Art. Hoffentlich steckte nicht irgendetwas ganz anderes dahinter.
Erstaunlicherweise war sie überhaupt nicht nervös, aber das musste damit zu tun haben, dass sie dieses Date innerlich längst abgehakt hatte. Für sie war Robert jetzt nicht mehr ihr Date, sondern ein unerwarteter Besucher an einem beliebigen Sonntagnachmittag.
Nachdem sie die Ordner von der Couch genommen hatte, bat sie ihn, Platz zu nehmen. » Was kann ich dir denn anbieten? Kaffee, Tee?«
»Im Moment würde mir ein Glas Wasser reichen.«
»Sprudel?«
»Lieber ein
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