Schmutzengel
vertreiben.
Ich nahm ein Erfrischungstuch aus dem Handschuhfach und wischte mir mit dem nach Zitrusfrüchtenduftenden Tüchlein durchs Gesicht. Langsam konnte ich wieder regelmäßig atmen, aber damit war das eigentliche Problem noch
lange nicht beseitigt.
Die Leiche musste weg.
Dazu gab es nur einen Weg: Ich musste den Toten aus dem Haus meines Kunden holen, bevor jemand etwas bemerkte.
Aber wohin damit? Darüber würde ich mir Gedanken machen, wenn es soweit war.
Mit wackeligen Knien stieg ich aus dem Auto und ging zurück zum Kühlhaus. Leider hatte sich die Leiche zwischenzeitlich nicht
in Luft aufgelöst. Jetzt betrachtete ich den Toten unter einem anderen Aspekt: War er groß? Was wiegt ein toter Mann? Würde
er in meinen Kofferraum passen?
Zum Glück war er eher schmächtig. Vielleicht nicht wirklich klein, aber sehr dünn, sofern man das unter seinen diversen Lagen
an Kleidung erkennen konnte. Es würde schwierig werden, aber ich traute mir zu, die Leiche in den Kofferraum meines Autos
zu schaffen. Der Rest würde sich zeigen.
Wieder wankte ich zu meinem Auto und fuhr es rückwärts vor die Tür zum Kühlraum. Ich öffnete die Heckklappe, holte den Verbandkasten
und die Warnweste heraus und warf beides vor die Rückbank auf den Boden. Dann arretierte ich die Kühlraumtür mit dem dafür
vorgesehenen Keil und nahm all meinen Mut zusammen.
»Der Tod ist nicht schlimm«, hatte meine Oma früher immer gesagt, wenn wieder ein Tier geschlachtet wurde. »Er ist so natürlich
wie die Geburt und das Leben.«
Diesen Spruch sagte ich mir laut vor.
Ich rollte die Leiche von der Wand weg, an der sie lag, rollte sie weiter, bis sie auf dem Rücken lag, ordnete dieArme so vor dem Körper, dass ich den Rettungsgriff anwenden konnte, den ich beim Erste-Hilfe-Kurs anlässlich meiner Führerscheinvorbereitung
gelernt hatte, und zog.
Es ist unvorstellbar, wie schlabberig und »unfassbar« im wahrsten Sinne des Wortes ein toter Körper ist. Wenn jegliche Spannung
aus den Muskeln gewichen ist, wird der Mensch von einst zu einem unhandlichen, schweren Sack. Ich schaffte es, den schlaffen
Körper so aufzurichten, dass er vor mir saß. Wieder bückte ich mich, packte den Körper von hinten am Unterarm und stemmte
mich aus den gebeugten Beinen heraus hoch, wie man es mit schweren Lasten tun soll, um den Rücken zu schonen. Im nächsten
Moment spürte ich seine Zähne auf der nackten Haut meiner Hand. Ich schrie, ließ los, sprang zurück und schüttelte meine Hände.
Er hatte mich gebissen!
Ich rang um Fassung, hyperventilierte ein bisschen, massierte mir die Kopfhaut und konnte ganz allmählich wieder ruhiger atmen,
das Kreischen in den Ohren ließ nach und das Zittern der Knie ebbte ab.
Als ich wieder Herrin meiner Sinne und meines Bewegungsapparates war, trat ich an die bissige Leiche und entdeckte zwei Zahnreihen
auf dem Mantel des Mannes. Bei meiner Hebelaktion war ihm das Gebiss herausgefallen.
Mithilfe zweier Papiertaschentücher steckte ich die Zähne in seine Manteltasche, unterdrückte den Würgereiz und machte mich
wieder an die Arbeit.
Es dauerte weitere zwanzig Minuten, bis ich die Leiche im Kofferraum meines Autos verstaut hatte. Erst blieb einer seiner
Schuhe an der Schwelle zum Kühlraum hängen, dann hatte ich meine liebe Not, den Oberkörper in den Kofferraum zu wuchten, ohne
dass ich selbst mit hinein musste.Die Beine waren so lang, dass ich sie kaum fest genug anwinkeln konnte, und zum Schluss hatte sich ein Knie so verhakt, dass
ich die Heckklappe nicht zubekam. Als endlich alles passte, war ich nassgeschwitzt und zitterte am ganzen Körper.
Ich schleppte mich noch mal ins Haus, fegte die hereingewehten Blätter aus dem Kühlraum, stellte den Thermostat ab, verschloss
sorgfältig alle Türen und ließ mich auf den Fahrersitz meines Autos fallen.
Inzwischen war es stockfinster, aber noch nicht einmal sieben Uhr abends. Ich fühlte mich dreckig, kraftlos und kämpfte gegen
die Tränen.
Wo wird man dienstagsabends gegen neunzehn Uhr in Düsseldorf eine Leiche los?
Die Frage löste ein unfreiwilliges hysterisches Kichern aus, aber es dauerte nur einen Moment, bis der Pragmatismus meiner
bäuerlichen Vorfahren sich durchsetzte und ich ernsthaft darüber nachdachte, wo ich meine leblose Fracht abladen könnte.
Natürlich durfte ich dabei nicht beobachtet werden, es musste also ein einsamer, dunkler Ort sein.
Außerdem, so überlegte ich mir, sollte es
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