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Schmutzengel

Titel: Schmutzengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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denn eins wollte ich an diesem Tag ganz sicher nicht: Irgendjemandes Interesse an meinem Wagen wecken. Das Wetter war zwar
     weiterhin durch extrem kalte Polarluft bestimmt, sodass ich keine Sorge wegen eventueller Geruchsentwicklung haben musste,
     aber ganz sicher war ich mir in der Hinsicht dann auch wieder nicht. Hundenasen sollen ja sehr gut sein. Weilhöhere Temperaturen eine schnellere Verwesung begünstigen, hatte ich auch die Heizung im Auto vorsorglich nicht angestellt,
     weshalb ich mit eiskalten Händen und Füßen die Räume der Firma Dresen und Schott betrat, wo ich mit Herrn Schott verabredet
     war.
    Der Geschäftszweck der Unternehmung blieb mir auch nach Ankunft in den großzügigen, repräsentativen Räumlichkeiten unklar.
     War dies eine Rechtsanwaltskanzlei? Ein Beratungsunternehmen? Eine Schönheitsklinik oder, wie kam ich bloß auf diesen Gedanken,
     ein Beerdigungsinstitut?
    Die Empfangsdame hatte mich erwartet, bat mich freundlich, noch einen Moment Platz zu nehmen, und bot Kaffee oder Wasser an.
    In Anbetracht der Tatsache, dass ich am Morgen bereits einen halben Liter Erkältungstee getrunken hatte, ungefähr zwanzig
     Mal zum Klo gelaufen war und fürchtete, Getränke zu verschütten, Tassen zu zerbrechen oder auf andere Art meinen inneren Nervenzusammenbruch
     für Dritte sichtbar zu machen, lehnte ich freundlich ab.
    Meine Hände waren zwar kalt, aber trotzdem schweißnass, ich hatte schon Mühe gehabt, den Wagen einzuparken, weil ich das Lenkrad
     kaum halten konnte. Ich befand mich also in totalem Aufruhr und hatte Mühe, ein Stöhnen zu unterdrücken, als die nette Empfangsdame
     mich aufforderte, ihr zu folgen.
    Ich schleppte mich hinter ihr her, wobei ich alle Gedanken an den Inhalt meines Kofferraums verdrängte und mich ganz darauf
     konzentrierte, eine dynamische, aufstrebende Unternehmerin zu sein. An die Äußerlichkeiten dieser Rolle hatte ich mich in
     den letzten Wochen gewöhnt: Die feinen Schuhe mit der dünnen Ledersohle, schwarze Hosen und Jacken, weiße Blusen sowie etwas
     Lippenstift. Auf die Wimperntusche, die ich normalerweise benutze, um meinehellen Augen mit den blonden Wimpern etwas zu betonen, hatte ich wegen der Erkältung verzichtet. Ich atmete tief durch, zog
     noch einmal die Jacke am Revers glatt und legte die Hand auf die Türklinke.
    Die Empfangsdame trat den Rückzug an und ich betrat den Raum, wie ich es vermutlich mein Leben lang getan hatte: Ich öffnete
     die Tür vorsichtig so weit, dass ich in den Raum sehen konnte, öffnete sie etwas weiter und schob mich seitlich durch den
     möglichst klein gehaltenen Spalt. Dann schloss ich die Tür leise hinter mir, wobei ich dem Herrn, den ich gegen das helle
     Fenster kaum erkennen konnte, den Rücken zudrehen musste.
    Er hatte sich erhoben, als ich mich wieder umdrehte, schloss gerade einen Knopf an seinem dunklen Anzug und kam mir um den
     riesigen Schreibtisch herum entgegen.
    »Guten Tag, Frau Leyendecker. Schott.«
    Ich reichte ihm eine immer noch kaltschweißige Hand, spürte, wie ich errötete, und flüsterte: »Sehr erfreut.«
    »Kommen Sie, setzen wir uns dort herüber, sonst müssen Sie gegen das Licht blinzeln«, sagte er und führte mich zu einer Sitzgruppe
     in einer Ecke des Raumes, der ungefähr doppelt so groß war wie meine gesamte Wohnung.
    »Kaffee? Tee? Oder ein Wasser?«, bot auch er mir an.
    »Nein danke, nichts«, sagte ich, räusperte mich und ließ mich auf dem Ledersofa nieder.
    Er setzte sich gegenüber in einen Sessel und betrachtete mich einen Moment recht aufmerksam, was mir die Gelegenheit gab,
     es ihm gleichzutun. Er war so groß wie ich, das hatte ich bereits bei der Begrüßung bemerkt, ungefähr fünfzig, hatte graue
     Schläfen, aber ansonsten schwarzes Haar, das perfekt geschnitten und frisiert war. Sein dreiteiliger Anzug war mit Sicherheit
     maßgeschneidert und aus feinstem Wollstoff, das Hemd hellblau mit blütenweißemKragen und gestärkt. Manikürte Fingernägel, die definitiv besser aussahen, als meine es jemals tun werden, und eine dezente
     Uhr, so flach, dass ich mir erst nicht sicher war, ob es sich wirklich um einen Zeitmesser handelte.
    »Sie wollen also bei mir putzen?«, fragte er mit einem feinen Lächeln.
    Ich spürte, dass ich wie eine gespannte Sehne auf seinem Sofa hockte, und versuchte, mich etwas zu entspannen, aber seine
     Frage machte jeden Versuch zunichte. Bei ihm putzen? Und eine Leiche finden? Nein, das wollte ich ganz und gar nicht. Ich
    

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