Schmutzengel
der sich um die Obdachlosen kümmert. Der kann immer
gut erhaltene Kleidung für seine, äh, Kunden brauchen.«
»Die Sachen hier stammen von meinem Opa, der ist in den letzten Kriegstagen gefallen. Fünfundvierzig. Oma konnte sich nie
von dem Kram trennen und erst jetzt, wo sie tot ist …« Ich konnte nicht weitersprechen. Wie war ich bloß auf diese abstruse Geschichte gekommen? Insgeheim bat ich Oma um Verzeihung,
dass ich ihren Mann um mehr als vierzig Jahre seines Lebens betrogen und sie gleich mit getötet hatte. Hoffentlich ging es
ihr gut, war mein nächster Gedanke. Immerhin war sie auf einer vierwöchigen Rundreise in Zentralasien.
»Na, wenn die Sachen nicht mehr brauchbar sind, bleibt wohl nur die Müllabfuhr. Aber nicht irgendwo in den Wald kippen, hören
Sie?«
Er sah mich streng an.
Ich hatte schwarze Punkte vor Augen bei seiner Bemerkung,schüttelte aber schnell den Kopf, um ihm klarzumachen, dass ich nicht zu denen gehöre, die nachts im Wald Müll abladen.
»Dann machen Sie, dass Sie nach Hause kommen und legen Sie sich ins Bett«, sagte der Polizist freundlich, tippte sich an die
Mütze und ging zurück zu seinem Kollegen. Der Wagen fädelte sich in den Verkehr ein und ich stand allein am Straßenrand. Ich
ließ mich gegen die Heckklappe sinken. Meine Nerven waren kurz vor der Auflösung, ich zitterte am ganzen Körper. Ich fühlte
mich definitiv nicht mehr in der Lage, eine Leiche zu entsorgen, ja nicht einmal darüber nachzudenken, wo ich dies am besten
bewerkstelligen könnte. Ich öffnete die Heckklappe einige Zentimeter, fummelte das Stückchen Stoff hinein und knallte sie
wieder zu. Dann fuhr ich nach Hause, parkte den Wagen mitsamt Fracht ordnungsgemäß in einer Parkbucht, trank den Rest des
Erkältungssaftes auf ex und fiel, noch halb angezogen, ins Bett.
Das ist jetzt drei Tage her.
7
Als ich am Morgen nach der grausigen Entdeckung in Lauensteins Kühlhaus mit leichter Verspätung aus meinem Erkältungssaft-Delirium
erwachte, waren die Krankheitssymptome zurückgegangen, nur das wattige Gefühl im Kopf war unverändert stark. Lag das nun an
der Erkältung oder an den grässlichen jüngsten Ereignissen? Sofort erschien alles wieder vor meinem geistigen Auge und ich
erschrak aufs Neue. Ich hatte einen Toten im Haus meines Kunden gefunden und – weitaus schlimmer – ihn in den Kofferraum meines
Autos gesteckt. Was hatte ich mir nur dabei gedacht? Jetzt musste ich mit einer Leiche im Kofferraum mehrere Geschäftstermine
absolvieren. Ich ging zum Fenster und traute mich kaum, eine der Lamellen zur Seite zu schieben in der Erwartung, eine ganze
Traube von Menschen um mein Auto herumstehen zu sehen, dessen offene Kofferraumklappe den Blick auf einen toten Obdachlosen
freigab, der zusammengefaltet gerade so in meinen Kleinwagen passte. Mit einer riesigen Willensanstrengung bewegte ich eine
Lamelle und sah mein Auto in der Parkbucht stehen. Kein Mensch weit und breit. Mir kamen vor Erleichterung die Tränen. Allerdings
nur kurz, denn schnell fiel mir wieder ein, dass das eigentliche Problem weiterhinbestand. Und ein Blick zur Uhr sagte mir, dass ich es vor meinem ersten Termin des heutigen Tages nicht würde lösen können.
Auf die Idee, den Termin abzusagen, kam ich, ehrlich gesagt, gar nicht. Ich war ja jetzt Geschäftsfrau mit Verantwortung.
Ich duschte im Eilverfahren, zog meine beste schwarze Hose, eine weiße Bluse mit Biesen und das wärmere der beiden Jacketts
an, tropfte mir ein Erkältungsmittelchen in die Augen, sprühte ein anderes in die Nase, lutschte ein Halsbonbon vor und eins
nach dem Erkältungstee und verließ im Laufschritt das Haus. Zum Glück hatte der nette Nachbar den Bürgersteig vor dem Haus
bereits vom Schnee befreit und mit Salz bestreut, sonst wäre ich in meinen schicken Lederschuhen vermutlich direkt unter meinen
Leichenwagen gerutscht. So überstand ich die ersten paar Meter unfallfrei.
Ich bin immer eine vorsichtige Autofahrerin gewesen, aber so vorsichtig wie an dem Tag war ich in meinem ganzen Leben noch
nicht gefahren. Ich blieb auf der rechten Spur, beschleunigte vorsichtig, bremste eher zu früh als zu spät, aber auch nicht
abrupt, damit mir nur ja niemand von hinten auffuhr. Ich blinkte absolut vorschriftsmäßig und parkte meinen Wagen eine halbe
Stunde später auf der Kö, auf der ich einen ordnungsgemäßen Parkplatz fand. Ich fütterte die Parkuhr mit meinem gesamten Kleingeld,
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