Schmutzengel
fertig geworden, nicht wahr?«
Ich versuchte verzweifelt, die Frage zu deuten. Hatte ich etwas vergessen, das Lisbeth normalerweise erledigte? Hatte ich
irgendwo noch Putzzeug herumstehen lassen, so, als obich an der Stelle gleich weitermachen wollte? Ich konnte mir keinen Reim auf den Sinn dieser Frage machen.
»Ja, Herr Lauenstein. Warum fragen Sie? Ist etwas nicht in Ordnung?«
Natürlich wusste ich genau, was nicht in Ordnung war, hoffte aber immer noch, dass er es noch nicht bemerkt hatte. Das war
nicht unwahrscheinlich, denn selbst wenn man von außen kommt und den Schlüssel ins Schloss der Tür steckt, bemerkt man gar
nicht, dass die Verriegelung nicht greift. Man dreht einfach den Schlüssel und denkt, man hätte den Riegel auf diese Art geöffnet,
obwohl er ja die ganze Zeit offen war.
»Nein, nein, es ist alles bestens«, antwortete Lauenstein, der selbst so gehetzt klang, wie ich mich fühlte. »Es ist nur so:
Ich fahre heute zu einem Kongress, muss so gegen Mittag los und komme erst Ende der Woche wieder. Da wollte ich einfach wissen,
also fragen, ähem… Also: Sie müssen heute oder morgen nicht mehr ins Haus oder auf das Grundstück, richtig?«
Das war natürlich falsch, aber das konnte ich ihm ja schlecht sagen.
»Richtig«, antwortete ich also. »Sofern Sie keine anderen Wünsche haben, behalten wir den regulären Dienst bei, das ist dann
die normale Reinigung nächsten Montag«, präzisierte ich. Klare Ansagen, das hatte ich schon bei AIQ gelernt, vermeiden spätere
Diskussionen mit Leuten, die ihre Rechtfertigungen gern mit Sätzen wie »woher soll ich das wissen, davon hast du nichts gesagt«
einleiten und so die Schuld auf andere schieben.
»Ja, gut. Genau so machen wir es. Danke, das war’s dann auch schon«, stammelte der Anrufer und legte auf.
Ich atmete tief durch, so weit mir das mit meinen rasselnden Bronchien und der verstopften Nase möglich war.
Der Plan sah also vor, so schnell wie möglich zu Lauenstein zu fahren und die Tür korrekt abzuschließen, damit ich endlich
meinen Seelenfrieden wiederfinden konnte. Den Vormittag müsste ich auf jeden Fall noch hinter mich bringen, denn wenn Lauenstein
sagte, dass er mittags zu diesem Kongress musste, dann verbrachte er den Vormittag vielleicht zu Hause. Auf jeden Fall durfte
ich nicht riskieren, ihm über den Weg zu laufen. Ich würde mich also noch etwas gedulden müssen. Eventuell sollte ich sogar
abwarten, bis es dämmerte, um möglichst auch von den Nachbarn unbemerkt aufs Grundstück zu gelangen. Die Warterei würde meinen
Nerven den Rest geben, das war mir bereits jetzt klar.
Während ich mich durch den Tag schleppte, sah ich ständig auf die Uhr. Ich konnte es kaum erwarten, endlich meinen Fehler
in Ordnung zu bringen.
Immer, wenn ich an Lauensteins Kühlraumtür dachte, fiel mir allerdings auch wieder ein, dass der Mann sich die halbe Nacht
um die Ohren geschlagen und heute Morgen am Telefon furchtbar durcheinander und nervös geklungen hatte. Was war da bloß los?
Vielleicht sollte ich heute Nachmittag doch noch einen Rundgang durch das Haus machen. Sicherheitshalber. Immerhin käme der
Bewohner mehrere Tage nicht zurück, da wäre es vielleicht besser, mich zu überzeugen, dass alles in Ordnung war. Ich dachte
weiter darüber nach, hatte mich aber noch nicht entschieden, als ich endlich um fünf in Oberrath ankam.
Ich öffnete das Tor zum Grundstück, setzte meinen Wagen in die Einfahrt und ging schnurstracks zur Tür des Kühlraums. Ich
drückte die Klinke und öffnete die Tür.
Der Schock nahm mir den Atem.
Da war ein Mann im Kühlraum.
Er lag lang gestreckt auf dem Boden.
Er rührte sich nicht.
Der Kerl, der da so reglos vor mir lag, war ein Penner. Wie der, der mir gestern vor der Toreinfahrt fast vor das Auto gelaufen
war? Womöglich sogar derselbe? Der sich auf der Suche nach einem Schlafplatz auf das Grundstück geschlichen und dann ausgerechnet
im Kühlraum eingenistet hatte? Ich versuchte, mein Gedankenkarussell anzuhalten und mich zu konzentrieren. Hatte sein Mantel
so ausgesehen? War die Körpergröße dieselbe? Auf jeden Fall war es ein Mann gewesen, da war ich mir sicher.
Mein Versuch, mich mit diesen erkennungstechnischen Fragen abzulenken, scheiterte. Die entscheidende Frage war nicht, ob dieser
Mann hier der von gestern war, sondern warum er so reglos in der Kühlkammer meines Kunden lag.
Die Ahnung, die mich vom ersten Augenblick an beschlichen
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