Schmutzengel
unterrichten?«
Das Wippen brach schlagartig ab. »Ich hatte diese Betrachtung nicht persönlich, sondern mehr, äh, theoretisch gemeint«, entgegnete
der Professor konsterniert.
»Entschuldigung«, sagte Lisbeth mit vollkommen ernstem Gesichtsausdruck. »Ich bin mehr der praktische Typ, über die Theorie
müssen Sie wohl mit Ihresgleichen diskutieren.«
Damit war der Small Talk beim Herrn Professor erledigt, den Auftrag erhielten wir aber trotzdem.
Ich wollte die Straßenbahn zu dem Autohof nehmen, auf dem mein Wagen hoffentlich unversehrt auf seine Abholung wartete, hatte
aber nicht mit Lisbeths Sorge um mein Wohlbefinden gerechnet.
»Schlecht siehst du aus, Kind«, sagte sie und ich musste ihr recht geben. »Hast du heute überhaupt schon etwas gegessen?«
Ich schüttelte den Kopf. Nachdem ich heute Morgen verschlafen hatte, war ich froh gewesen, die Dusche, vierzig Sekunden Haaretrocknen
und das Anziehen zu schaffen, bis das Taxi vor der Tür stand. An ein Frühstück war da überhaupt nicht zu denken.
»Komm mit, dann essen wir bei mir eine Kleinigkeit.«
Ich zögerte, fühlte mich aber tatsächlich so matt, dass ich Lisbeths Angebot, das genau genommen ein Befehl gewesen war, annahm.
Dann mussten mein Auto und der Herr darin eben noch eine Stunde länger auf mich warten.
Lisbeth erkundigte sich unterwegs, was ich denn gegen die offensichtliche Erkältung tat, und hätte die Hände über dem Kopf
zusammengeschlagen, wenn sie nicht das Lenkrad hätte halten müssen, als ich ihr von meiner Speed-Dating-Abendveranstaltung
mit Troll, dem anschließenden Schock über mein abgeschlepptes Auto und meinem schlechten Schlaf wegen eines Albtraums erzählte,
den ich auf die Nebenwirkungen der Erkältung schob.
»Aber du brauchst Ruhe und Schlaf«, beschied sie mir streng.
Das wusste niemand besser als ich, also nickte ich ergeben.
»Heute Abend solltest du kurz vor dem Zubettgeheneinen Lindenblütentee trinken, einen Halswickel machen und dann sehr früh schlafen gehen. Sehr früh heißt nicht nach sieben
Uhr.«
Nichts wünschte ich mehr als das, aber erst musste ich meinen Kofferraum leer räumen. Ob mir das rechtzeitig gelingen würde,
hielt ich selbst unter optimalen Bedingungen für sehr zweifelhaft. Und optimal hätte bedeutet, dass ich schon einen Plan hätte,
wohin mit meinem Problem. Diese Frage war aber nach wie vor vollkommen offen.
Lisbeth wohnte in einer ruhigen Seitenstraße in der Nähe des Schauspielhauses, für das sie am Tag nach ihrem Umzug ein Abonnement
gekauft hatte. Das war alles, was ich über ihr Privatleben wusste. Auch die Wohnung hatte ich noch nie gesehen, daher war
meine Überraschung groß.
In der Eifel hatte Lisbeth mit ihrem Mann in einem alten Haus gewohnt, dessen kleine Fenster wenig Licht hineinließen. Der
Einrichtungsstil war mit »Eiche rustikal« umfassend beschrieben, röhrender Hirsch inklusive. Hier nun durchflutete die milchige
Abendsonne das Wohnzimmer, das mit Laminat ausgelegt, hellgelb in venezianischer Wischtechnik gestrichen und mit wenigen,
hellen Möbeln modern eingerichtet war. Kein Hirsch weit und breit, stattdessen eine ganze Wand voller Bücherregale und moderne
Drucke an den anderen Wänden. Die Küche, in die wir gingen, um die Rinderbrühe zu essen, war ebenfalls hell und freundlich
und natürlich, das wunderte mich nicht, blitzblank aufgeräumt und geputzt. Auch hier hingen Kunstdrucke, darunter die berühmte
Suppendose von Andy Warhol. Meine Verwunderung musste mir anzusehen gewesen sein, denn Lisbeth tätschelte mir den Arm und
nickte.
»Kind«, begann sie. Ich hatte sie immer noch nicht darauf hingewiesen, dass diese Anrede für die Chefin eigentlichunpassend war, aber gerade in diesen Tagen fühlte ich mich nicht wie eine Chefin, der man Respekt zollen müsste. »Ich habe
ein neues Leben begonnen. Ein Leben im Lichte der Aufklärung.«
Ich versuchte ein schiefes Grinsen, das sicher nicht sehr überzeugend geriet.
Auch sie lächelte, während sie in dem Topf mit der selbst gemachten Rinderbrühe rührte. Zwar hatte mein Appetit in den letzten
Tagen wieder dramatisch nachgelassen, aber das hier roch wirklich köstlich. »Ich kann mir heute selbst nicht mehr erklären,
warum ich all die Jahre bei Hubert geblieben bin. Er hat sein Leben auf der Couch verbracht und sich von mir bedienen lassen.
Hat sich für nichts interessiert, außer für Fußball. Nur selten hat er seine Trägheit
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