Schmutzengel
Preisen will ich ja schließlich nicht nur für meine Putzfrau arbeiten,
hahaha.«
Wir lachten nicht mit. Ich weiß nicht, was Lisbeth in dem Moment dachte, aber mir war klar: Aus seiner Bude hätte ich keine
Leiche entsorgt.
»Herzchen, Sie haben eine ganz falsche Vorstellung davon, was eigener Hände Arbeit bedeutet«, sagte Lisbeth. »Ich würde allein
für das Fensterputzen pro Reinigung etwa vier Stunden veranschlagen, und das dann nur von innen, denn von außen brauchen Sie
einen Kran und den bringe ich sicher nicht mit. Eine Grundreinigung der Wohnung, die mehr als überfällig ist, schlüge mit
circa zwanzig Stunden zu Buche und dann pro Woche ungefähr zehn Stunden, da ist das Einkaufen nicht mit eingerechnet.«
»Das ist ja wohl lächerlich«, rief der Jüngling entsetzt.
»Genau«, entgegnete Lisbeth ungerührt. »Ihr Lebensstil ist lächerlich. Eine Wohnung kostet nicht nur Miete und Nebenkosten,
sie kostet auch Unterhalt. Und den Stil, den Sie hier gern zur Schau stellen würden, den wollen Sie sich offenbar nicht leisten.
Umsonst ist er aber nicht zu haben. Ziehen Sie um, das ist der beste Rat, den ich Ihnen geben kann.«
Nun war der Dreiteiler zwar selbstverliebt bis in die Haarspitzen und ein arroganter Schnösel gewesen, aber immerhin hatte
er mich mit seiner fesselnden One-Man-Show wenigstens für eine halbe Stunde gedanklich von meinem drängendsten Problem erlöst.
Eine Wiederholung dieserAblenkung war mir nicht vergönnt, denn der nächste Kunde des Vormittags hatte entweder selbst eine realistische Vorstellung
von dem benötigten Arbeitsaufwand oder er vertraute auf Lisbeths Kalkulation. Ich bekam es nicht mit, kümmerte mich aber auch
gar nicht darum, sondern ließ Lisbeth machen und nahm zur Kenntnis, dass sein Schlüssel an ihrem Schlüsselbund landete, während
ich in Gedanken im Kofferraum meines Autos war.
Der dritte Termin des Vormittags, ein Professor der Heinrich-Heine-Universität, der uns sein Fachgebiet nicht genannt hatte,
versuchte, Lisbeth in eine philosophische Diskussion zu verstricken.
»Glauben Sie nicht, dass die Entfremdung des Menschen von seiner eigenen Umgebung das Gefühl der Haltlosigkeit verstärkt,
die viele Menschen in ihrem Leben spüren?«, fragte er.
Mit Gefühlen der Haltlosigkeit kannte ich mich seit Montagabend auch aus.
Lisbeth unterbrach die Inspektion seiner Küche und blickte ihn erstaunt an. »Halten Sie das feuchte Auswischen eines klebrigen
Kühlschranks für …«, sie suchte nach dem richtigen Wort, »heilsam?«
Der Professor wippte auf den Zehenspitzen und nickte langsam und ausdrücklich mit dem Kopf. Ich stellte mir vor, dass er in
genau dieser Haltung vor seinen Studenten irgendeinen geisteswissenschaftlichen Diskurs führte. »Nun, viele Menschen fühlen
sich den Kräften, die ihr Leben beherrschen, heute hilflos ausgeliefert. Sie empfinden einen starken Kontrollverlust in allen
Bereichen ihres Daseins.«
Haltlosigkeit, Kontrollverlust, hilflos ausgeliefert – ich wusste genau, wovon der Mann sprach.
»Und Sie meinen, die Kontrolle über das Leben in ihremKühlschrank würde diesen Menschen die verlorene Sicherheit zurückgeben?«, entgegnete Lisbeth.
Das würde mich jetzt auch interessieren. Ich wäre zur Lösung meines Problems durchaus bereit, meine Wohnung zu putzen.
»Nun«, wieder dieses Wippen, »die Tatsache, dass diese Menschen auch noch in ihrem ganz intimen Rückzugsbereich fremde Kontrolle
zulassen und die Eingriffe von außen bemerken, wenn sie in ihre Wohnung zurückkehren, könnte das Gefühl der Fremdbestimmtheit
verstärken. Wohingegen die Fähigkeit, im privaten Bereich seines Lebens seine eigene Ordnung herzustellen und zu erhalten,
durchaus beruhigend, ja, ich würde sogar sagen, befriedigend sein kann.«
Ja, ich würde auch eine ungeheure Befriedigung und Ruhe empfinden, wenn ich im privaten Bereich meines Lebens mal wieder Ordnung
hergestellt hätte. Ich dachte dabei allerdings nicht an meine Küche. Und am liebsten hätte ich ihn gleich gefragt, ob er vielleicht
eine Idee hätte, wo ich eine Leiche loswürde, die seit Tagen in meinem Kofferraum herumlag. Allerdings hütete ich mich, dem
Herrn zu antworten. Das überließ ich Lisbeth.
»Glauben Sie, dass Sie ein glücklicheres Leben führten, wenn Sie vier bis sechs Stunden pro Woche auf Ihren Hausputz und die
Wäschepflege verwendeten anstatt in dieser Zeit Bücher zu lesen oder Studenten zu
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