Schmutzengel
vermutet.
Lisbeth räumte gerade das Geschirr ab, als das Telefon klingelte. Zum ersten Mal seit Sonntag antwortete ich selbst.
»Gott sei Dank, endlich erreiche ich Sie«, rief eine Stimme, die ich sofort erkannte: Lauenstein. Seine Stimme klang gepresst,
in meinem Kopf gingen sämtliche Alarmsirenen los. Lauenstein hörte sich nicht so an, als wolle er mir freundlich für die Wiederbeschaffung
seines Vaters danken.
»Was kann ich für Sie tun?«, fragte ich in meinem höflichen Tonfall, den ich für Kundengespräche anschlage.
»Schauen Sie mal auf Ihre Homepage.«
Ich klemmte mir den schnurlosen Hörer ans Ohr, ging ins Büro, warf den Computer an und rief meine Internetseite auf.
»Ich habe die Startseite jetzt geöffnet«, sagte ich.
»Gehen Sie zur Leistungsübersicht.«
Ich klickte weiter. Wir hatten zu jeder angebotenen Leistung ein Foto in Briefmarkengröße neben den Text gestellt. Die Bilder
hatte Troll von einer Fotoagentur besorgt. Sie zeigten junge, hübsche, gut gelaunte Frauen beim Fensterputzen, Einkaufen,
Kochen, Bügeln und so weiter. Seit Neuestem gab es einen weiteren Punkt in der Leistungsübersicht, der sich »Entsorgung« nannte.
Das Bild zeigte einen zusammengerollten Teppich, aus dem zwei Füße ragten.
Ich schnappte nach Luft.
»Haben Sie das Firmenschild gesehen?«, fragte Lauenstein.
Firmenschild? Wovon redete der Mann? Ich fuhr mit derMaus über das Bild, der Mauszeiger verwandelte sich in einen Finger. Seltsam. Wir hatten nirgendwo Vergrößerungen hinterlegt.
Ich klickte auf das kleine Bild. Umgehend erschien das Foto auf der gesamten Bildschirmgröße. Der Teppich mit der Leiche drin
lag neben einem Hauseingang unter einem Firmenschild. Die erste Zeile des Firmenschildes war zu klein, als dass ich sie hätte
lesen können, aber die zweite sprang mir direkt ins Auge: Lauenstein GmbH.
»Scheiße«, entfuhr es mir.
»Genau«, sagte Lauenstein. »Und jetzt raten Sie mal, wie ich darauf aufmerksam wurde.«
Ich habe noch nie gut raten können, und wenn das Gehirn im Schockzustand weilt, geht es erst recht nicht.
»Spannen Sie mich nicht auf die Folter«, sagte ich. Es klang barscher, als beabsichtigt.
»Ich habe eine freundliche E-Mail bekommen mit dem Hinweis, dass die Schmutzengel ihr Service-Angebot erweitert haben. Dabei war ein direkter Link zu diesem
Bild.«
Ich schloss die Augen.
»Im Empfängerfeld standen mindestens fünfzig Mailadressen.«
Auch das noch.
»Was soll das?«, fragte Lauenstein, nachdem ihm das Schweigen an meinem Ende der Leitung wohl etwas zu lang dauerte.
»Ich weiß, wer mir das angetan hat«, sagte ich.
»IHNEN?«, brüllte Lauenstein. »Da haben Sie wohl etwas verwechselt. MIR hat man das angetan. MEIN Name steht auf dem Firmenschild.
Und in meiner Branche kommt diese Art von Humor nicht gut an, das kann ich Ihnen sagen. Zumal gerade jetzt, wo … ach, egal. Sorgen Sie nur dafür, dass dieses Bild da verschwindet und zwar umgehend.«
Er legte auf.
Zumal gerade jetzt? Was sollte das denn bedeuten? Natürlich war es gerade eine schwierige Zeit für Lauenstein. Wenn die Polizei
nun zufällig auf meiner Internetseite auf Lauensteins Namen und das Foto stößt, dann wären wir beide verloren.
Ich starrte weiter auf meine eigene Homepage. Es gab nur eine Person, die Zugriff auf meine Homepage und die E-Mail -Adressen meiner Kunden hatte. Die Person, die diese Homepage gestaltet hatte und sich um die regelmäßige Aktualisierung kümmerte.
Die Person, die ich bis vor ein paar Tagen für meinen besten Freund auf Erden gehalten hatte. Die Person, die sich in mich
verliebt hatte und von meiner fiebrigen Zurückweisung offenbar mehr gekränkt war, als ich für möglich gehalten hätte. Und
die sich jetzt auf grausame Weise an mir rächte. Tabea Trollinger.
Ich wählte ihre Nummer, bekam aber keinen Anschluss. Ich war sicher, dass sie meine Nummer erkannt und mich weggedrückt hatte.
Ich wählte erneut und weitere zwölf Mal, aber sie ließ sich nicht erweichen. Dann klingelte mein Telefon. Der nächste Kunde
rief an und kommentierte meinen Werbegag, den er gewagt aber witzig fand. Ich dankte höflich und legte auf. Ich war nass geschwitzt
und das lag nicht nur am abklingenden Fieber. Wie konnte ich die Situation retten, wenn Troll sich so sturköpfig zeigte? Von
hier aus ließ sich mein Internetauftritt weder bearbeiten noch abschalten. Troll hatte mich völlig in der Hand. Und ich fragte
mich, was zum
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