Schmutzige Haende
Patrizia hat sich in Ihnen getäuscht. Sie sind eine Null!
Sie sah, wie er zusammenzuckte, als würde er sich gleich auf sie stürzen, um diese beleidigende, eisige Stimme zum Schweigen zu bringen. Dann sank er in sich zusammen, griff sich mit den Händen an den Hals. Instinktiv legte sie ihm eine Hand auf die Schulter. Die ganze Wut und der Ärger waren verraucht.
Er war nur mehr ein kleiner, verzweifelter Mann. Sie hatte kein Recht, so grausam zu ihm zu sein. Auch sie besaß kein Monopol auf Trauer.
Scialoja rappelte sich auf, nickte und verließ das Zimmer. Sie wartete eine halbe Stunde lang. Frisch angezogen kam er zurück, mit noch nassen Haaren und frisch rasiert. Maya lächelte ihn an.
– Verzeihen Sie mir. Ich hatte kein Recht …
– Ich werde mir Ihre Unterlagen ansehen. Und wenn möglich werde ich Ihnen helfen.
Maya reichte ihm einen Umschlag.
– Nehmen Sie.
Vorsichtig nahm ihn Scialoja entgegen. Wie eine Reliquie. Er zögerte, bevor er ihn mit dem Nagel aufriss. Als er das Foto sah, hätte er am liebsten geweint. Er beherrschte sich.
Patrizia! Hatte sie jemals so glücklich gestrahlt, wenn sie mit ihm zusammen war?
Hatte er sie jemals glücklich gemacht?
Und dieser Mann … wie sie ihn ansah! So innig und stolz! Mein Mann, schienen diese Augen zu sagen. Auf der Rückseite stand ein Satz. „Bula … Patrizia … ein anderes Leben …“
Aber was hatte das alles zu bedeuten? Wer war dieser Mann? Er gab Maya das Foto zurück, eine stumme Frage im Blick.
– Er heißt Stalin Rossetti, sagte Maya. Ich werde Ihnen jetzt alles erzählen. Alles, was sie Ihnen nicht rechtzeitig erzählt hat.
7.
Anfangs war Stalin nur einer von vielen gewesen. Vielleicht ein wenig freundlicher. Cinzia erinnerte sich, dass er sich im Gefolge der beiden Spione, Zeta und Pigreco, befunden hatte, die ihr Bordell zu einer Art Panoptikum umfunktioniert hatten, in dem die Laster und die Geheimnisse der einflussreichsten Kunden rund um die Uhr von technisch raffinierten Aufnahmegeräten protokolliert wurden. Er kam, schaute, sammelte Material, wechselte ein paar scherzhafte Worte mit den Mädchen, ging aber mit keiner ins Bett. Niemals. Ranocchia, der schwule Architekt, ihr inniger Vertrauter, hatte sie gewarnt. Der ist ein anderes Kaliber, der ist ein Arschloch. Ranocchia hatte einen Versuch gestartet und eine Abfuhr erhalten. Keine Gewalt, wohlverstanden, aber ein Sarkasmus, der dich bei lebendigem Leib häutete. Stalin Rossetti war ein gefährlicher Mann, hatte Ranocchia abschließend gesagt. Aber Ranocchia war in Scialoja verknallt, das war nicht zu übersehen. Ranocchia war nicht objektiv! Dann war Stalin verschwunden. Und sie hatte ihn schnell vergessen. Warum hätte sie sich an einen x-beliebigen, an einen von vielen, erinnern sollen? In diesen Jahren hatte sie den Beruf aufgegeben und war die Freundin eines Banditen geworden, eines ehrgeizigen Drogendealers, der von allen Dandi genannt wurde. Dandi war lange auf der Flucht gewesen. Hin und wieder tauchte er unvermutet mit teuren Geschenken bei ihr auf, wobei er jedes Mal riskierte, festgenommen zu werden. Der andere, Scialoja, kam und ging, besessen von dem Gedanken, Karriere zu machen: Hilf mir, diesen oder jenen festzunehmen, erzähl mir was über den da. Im Grunde unterschied sich das, was er von ihr wollte, nicht sehr von dem Spiel, das Stalin Rossetti ihr später vorschlagen würde.
Aber Stalin hatte einen eindeutigen Vorteil. Er hatte sie erobert.
Im Sommer ’91 war er wieder aufgetaucht. Die ersten Annäherungsversuche hatten sie gleichgültig gelassen.
Sie war mit ihm aus Neugier ausgegangen, weil er ein Gentleman war, weil er großartige Lokale kannte, in denen er wie selbstverständlich verkehrte. Sei hatten eng umschlungen getanzt. Er hatte sie mit Blumen überschüttet. Bei einer Ausstellung von Stofftieren hatte er ihr das teuerste Stück gekauft, ein grinsendes Krokodil mit zweideutigem Blick.
Als sie das erste Mal zu ihr hochgingen, hatte er sich nicht auf sie gestürzt. Er hatte ihr auf zurückhaltende und charmante Weise den Hof gemacht. Allmählich begann ihr das Spiel zu gefallen. Für gewöhnlich vergeudeten die Männer nicht ihre wertvolle Zeit, um ihr den Hof zu machen. Für gewöhnlich steckten ihr die Männer den Schwanz zwischen die Beine.
„Was kann ich tun, um dich zu bekommen?“, hatte er sie an diesem Abend gefragt.
„Ich arbeite nicht mehr“, hatte sie enttäuscht und kalt geantwortet.
„Das meine ich nicht. Ich habe
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