Schmutzige Haende
Häftlingen und den Sondergefängnissen … von den Prozessen ganz zu schweigen … würden heute nicht mehr ankommen. Die Leute sind viel zu wütend auf euch. Wir brauchen Ruhe.
– Sollen wir vielleicht darauf warten, dass sie uns der Reihe nach umlegen? Die Ruhe, von der Sie sprechen, bedeutet für uns das Ende.
– Ich spreche von einem Waffenstillstand, Lo Mastro! Wir müssen beide zu Atem kommen. Lasst eine Zeitlang … sagen wir ein Jahr lang … vielleicht auch weniger … die Zügel schleifen … wartet auf die Wahlen … dann können wir allmählich wieder von vorne beginnen …
– Und was bietet ihr uns als Gegenleistung an?
– Zum Beispiel ein paar diskrete Informationen, die euch vor allzu eifrigen Ermittlern schützen, zum Beispiel: An diesem Ort ist es nicht mehr sicher … in der Zone X oder Y braut sich was zusammen … um den Waffenstillstand zu garantieren, könnten wir …
– Ein Waffenstillstand!, unterbrach ihn Angelino. Aber wer garantiert uns, dass die, die die Wahlen gewinnen, nicht schlimmer sind als die von heute … oder die von gestern? Wer garantiert uns das, hä?
Genau darin, musste Scialoja zugeben, bestand das Problem. Alle Meinungsforscher und alle Umfragen rechneten mit dem Sieg der Linken. Und die Linken hatten sich den Kampf gegen die Mafia auf die Fahnen geschrieben. Aber die Linken waren nicht alle gleich. Nicht alle Linken waren derselben Meinung. Die Linken waren zum Beispiel für den Schutz der verfassungsmäßigen Rechte. Die Linken müssen erst unter Beweis stellen, dass sie ein großes Land in Frieden regieren können … deshalb gab es nur eine mögliche Antwort.
– Niemand. Niemand kann es euch garantieren. Ihr müsst nur Vertrauen haben. Vertrauen und Hoffnung.
– Aber wem sollen wir vertrauen?
– Mir.
Das war der wunde und auch der einzige wichtige Punkt der Unterhaltung. Angelino stand auf und schüttelte den Kopf.
– Ich muss Bericht erstatten.
– Ich auch. Und aus diesem Grund, flüsterte Scialoja, als würde es sich für ihn um eine Offenbarung handeln, sind wir uns ähnlich!
– Wir werden uns nie ähnlich sein!, lachte der Sizilianer und offenbarte etwas Wildes, Primitives, das sich seiner eisernen Selbstkontrolle entzog.
Das hatte im zweiten Teil von Vecchios Bericht gestanden. Lo Mastro gehörte zwar zur neuen Garde, blieb aber …
immer ein Mafioso
. Und war stolz darauf, einer zu sein.
Bevor sich Scialoja verabschiedete, schenkte er Lo Mastro ein sicheres Handy.
– Das ist eine spezielle Leitung. Abhörsicher. Und sie hinterlässt keine Spuren in der Abrechnung. Wenn Sie eine Neuigkeit haben, rufen Sie mich an.
Angelino ließ das Gerät mit einer schroffen Geste in die Tasche gleiten und eilte davon. Es abzulehnen wäre unhöflich gewesen, immerhin handelte es sich um das Angebot eines Mannes, der einen vernünftigen Vorschlag gemacht hatte und zu dem es in Zukunft weiteren Kontakt geben würde. Außerdem hatte er ihm das Geschenk auf sehr höfliche und respektvolle Weise überreicht, ein Affront wäre also fehl am Platz gewesen. Andererseits war es nach wie vor das Geschenk eines Bullen und somit möglicherweise ein Trojanisches Pferd. Es wäre klug gewesen, sich seiner zu entledigen. Die
convenienza
überzeugte ihn letztendlich, es doch zu behalten. Erstens: Der Bulle wirkte aufrichtig. Nicht weil er besser oder anders war als alle anderen Bullen. Sondern weil er verzweifelt war. Die Cosa Nostra winselte, aber der Staat raufte sich geradezu die Haare. Und warum sonst pissten sie sich derart an? Zweitens: Von nun an war er, Angelino, der einzige Verhandlungspartner. Der bevorzugte Gesprächspartner. Und somit ging auch im Hinblick auf die Innenpolitik der Organisation die
convenienza
auf.
Sobald er den nagenden Zweifel beseitigt hatte, ging Angelino ins Kino. Zum vierten oder fünften Mal sah er sich
Good Fellas
an. Wie immer löste der Film bei ihm heftige Gefühle aus. Wie kein anderer hatte Scorsese es verstanden, die wilde, unbändige Kraft einzufangen, aufgrund deren sie nicht nur berühmt waren und gefeiert wurden, sondern aufgrund deren sie einzigartig, und wie Angelino hoffte, auch ewig waren. Selbst das schreckliche Finale, mit seiner unerträglichen Apologie des Klatschmauls, das seine Freunde verriet, enthielt trotz seines widerwärtigen Moralismus ein Körnchen Wahrheit. Das Finale besagte, dass ohne eine Linie, ohne eine Richtung, eine Fahrtrichtung, ein Ziel … die ganze Energie, die ganze überschüssige Kraft
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