Schmutzige Haende
jeden Preis, so sein wollten wie alle anderen. In seinen Augen handelte es sich um menschliche Schwäche.
Kaffeeduft zog durch die Wohnung, und Beatrice tauchte in der Tür auf. Scialoja beeilte sich, ihr das kleine Tablett abzunehmen. Sie bedankte sich mit einem höflichen Lächeln.
– Bleiben Sie zum Abendessen, Doktor Scialoja?
– Eigentlich hatten wir was vor, Beatrice.
– Ach ja, das habe ich vergessen. Tut mir leid, dann eben ein anderes Mal!
Argenti dankte ihr mit einer stummen Geste. Sie fuhr ihm mit den Händen durchs Haar, mit einer Art ironischer Zärtlichkeit. Ihr Mario würde es wohl nie lernen, sich wie ein Mann von Welt zu benehmen!
Dann entschwand sie leichtfüßig und Scialoja spürte zusätzlich zu seiner Bewunderung einen Anflug von Neid. Wer weiß, ob es mit Patrizia jemals eine derart tiefe Übereinstimmung geben würde … Aber indessen blickte Argenti ihn ungeduldig an. Scialoja nippte am Kaffee und versuchte ihm zu erklären, wie die Dinge lagen.
Später – der Polizist war seit etwa zwanzig Minuten gegangen – platzte Beatrice in sein Arbeitszimmer. Mario starrte, hinter seinem von Akten übersäten Schreibtisch hockend, ins Leere. Die Zeichen standen auf Sturm.
– Du hältst den Typen nicht aus, stimmt’s?
– Wenn Du wüsstest, worüber er mit mir gesprochen hat.
– Willst du es mir erzählen?
– Lieber nicht.
– Wie du willst. Aber vergiss nicht, dass wir etwas vorhaben!
– Was? … Ach ja, danke, Beatrice!
– Gehen wir ins Kino?
– Ich arbeite.
– Sieht aber nicht so aus.
– Ich schwöre dir, ich arbeite.
– Aber es ist Sonntag!
– Na und?
– Im Rivoli spielen sie
Ein Herz im Winter
.
– Was für ein Genre?
– Eine Tragikomödie, glaube ich. Ein französischer Film.
– Warum gehst du nicht mit einer Freundin?
– Weil ich mit dir gehen will.
– Ein anderes Mal.
Sie zog sich zurück und schloss die Tür übertrieben vorsichtig. Eine Geste voll unterdrückter Aggression. Beatrice war beleidigt. Und er musste ihr sogar Recht geben. Tja, er hatte sich wie ein Bauer benommen. Und jetzt musste er es wiedergutmachen. Ach, was für ein schöner Sonntag! Das Treffen mit Scialoja hatte ihn aus der Fassung gebracht, das war nicht zu leugnen. Während des ganzen Gesprächs hatte er dem Polizisten gegenüber eine unbeugsame, zuweilen sogar verächtliche Haltung eingenommen. Wie ein Kommunist alter Schule eben. Ein paar Sätze hatten genügt, und er hatte verstanden, worauf die zwielichtige Figur hinauswollte. Ihr Kommunisten seid entschlossen, euch Italien anzueignen. Nun ja, macht ruhig. Aber ihr sollt wissen, dass ihr so oder so mit bestimmten Problemen zu tun haben werdet, mit denen sich unser geliebtes und unglückliches Land herumplagt. Und das wird nicht angenehm sein, Senator. Denn lauthals zu schreien, um den Rechtsstaat und die Berechtigung der Opposition zu verteidigen, ist etwas ganz anderes, als sich die Hände bei der Ausübung der Macht schmutzig zu machen. Sie sollten also rechtzeitig Vorkehrungen treffen, sich nicht überraschen lassen … bereit sein. Aber wozu bereit?
Der Senator dachte an seine Anfänge. An den Augenblick der Entscheidung. Er war spontan der Partei beigetreten, oder vielleicht auch aus Provokation. Um ein akademisches Milieu herauszufordern, das bereits die Revolution heraufdräuen spürte und in dem die Schlauesten und Hartnäckigsten, vulgo die Arschlöcher, ihre glänzenden Managerkarrieren im Schatten eines entfesselten und harmlosen Salonextremismus aufbauten. Die Partei war für ihn Berlinguer gewesen. Berlinguer war sein Leuchtturm gewesen. Sein Fixstern.
Berlinguer hatte Weitblick gehabt.
Berlinguer hatte gewusst, dass Italien ein Land der Rechten war.
Berlinguer hatte gewusst, dass sie nicht im Alleingang gewinnen konnten, sofern sie nicht enden wollten wie Chile.
Berlinguer hatte gewusst, dass der real existierende Sozialismus Ungeheuer hervorgebracht hatte.
Berlinguer hatte versucht, seine schwindsüchtige Partei in die Zukunft zu führen.
Berlinguer war tot. Die Mauer war gefallen. Die Karten waren neu gemischt worden. Der alte Bann über die Linken hatte keinen Sinn mehr. Unvorstellbar, dass die Partei nicht darunter litt. Argenti stellte sich nicht gegen Veränderungen. Veränderung ist die Seele der Politik. Argenti glaubte an die Politik, trotz der Politiker, entschlüpfte es ihm manchmal, lächelnd, im Kreis von Freunden. Trotz der Politiker meiner Partei, fügte er hinzu, jedoch nie in der
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