Schmutzige Haende
Carabinieri-Maresciallo, einem großen, ungeschlachten und fürsorglichen Mann, erzählte sie, sie könne sich nicht erinnern, wie es zu dem „Schadensfall“ gekommen war.
– Ich habe jemanden hupen gehört und bin an die rechte Straßenseite gefahren, um Platz zu machen … aber vielleicht war die Fahrbahn zu eng, oder, wer weiß, vielleicht war es ein Betrunkener … auf jeden Fall war ich plötzlich auf der Böschung, oder auch nicht, keine Ahnung … mit einem Wort, auf einmal kam mir diese Pappel entgegen … mit einem Wort, es ging so schnell …
– Haben Sie sich die Kfz-Nummer gemerkt? Was für eine Marke war es?
– Tut mir leid. Ich kann nur sagen, dass es ein großes Auto war. Groß und dunkel …
Für den Maresciallo, die Ärztin, die Krankenpfleger und die Sanitäter war es ganz klar, wie es zum Unfall gekommen war. Und auch, wer daran Schuld hatte: einer dieser Jugendlichen, die sogar ihre eigene Mutter niederfahren würden, um rasch in eine Diskothek zu gelangen und sich dort zuzuknallen.
Maya hatte mit sanftem Lächeln genickt. Maya hatte sie getröstet: Sie wartete auf ihren Gatten, es konnte sich nur noch um Sekunden handeln.
Schließlich hatten sie sie in Ruhe gelassen. Endlich allein. Allein mit ihrer Wut und ihrer Enttäuschung.
Verdammt, es hätte ein angenehmer Ausflug werden sollen. Eine angenehme Abwechslung an einem faden Sonntag: Die Kleine war im Feriencamp und sie war endlich das unerträgliche Genfer Kindermädchen los … Raffaella nannte sie Annamaria Baffetti, Samuels Frau, wie im Märchen von Beatrix Potter … ebenfalls ein großartiger Einfall Ilios … aber warum meldete er sich nicht?
Seit einiger Zeit war Ilio merkwürdig. Kurz angebunden, fast bärbeißig. Imstande, stundenlang zu schweigen. Irgendetwas schien ihn zu quälen. Als ob er jede Lebensfreude verloren hätte. War ihre Ehe am Ende, wie ihr ihre „Freundinnen“ prophezeiten? Hatten sich über alles Müdigkeit und Überdruss gebreitet? Einen traurigen, erschöpften Ilio konnte sie sich gar nicht vorstellen. Sie erinnerte sich an eine langweilige Teestunde bei der Vingelli-Orsolatti, während der man versucht hatte, ihr ein Geständnis abzuringen. Alles schien sich darum zu drehen, ob man „es“ ihm gewährte oder nicht. Laut der Gräfin, die infolge exzessiver Saunabesuche und Hungerkuren, mit deren Hilfe sie das Rad der Zeit um zwanzig Jahre zurückdrehen wollte, aussah wie eine Dörrzwetschke, war es ein Leichtes, „es“ ihm zu „gestatten“. Das Problem gab es vielmehr dann, wenn er „es“ nicht mehr verlangte. Ein offenbar weitverbreitetes Problem. Als Maya an der Reihe war, als die Freundin sie brutal bezüglich der Frage verhört hatte, „es“ ihm zu gestatten oder nicht, hatte sie ganz offen gestanden, dass sie und Ilio Zuneigung füreinander empfanden, dass sie oft und lustvoll miteinander schliefen, dass sie einander seit Jahren begehrten. Die Vingelli-Orsolatti hatte ein Räucherstäbchen angezündet und ihr mit gezwungenem Lächeln vorgeworfen, sich „bedeckt“ zu halten. Mit anderen Worten: zu lügen, weil sie zu wenig Vertrauen in sie, ihre Freundin, hatte.
„Aber wenn du Lust hast, mir die Wahrheit zu sagen, Schätzchen, bin ich immer für dich da!“
Mit einem Wort, es wäre unglaubwürdig, dass eine Beziehung funktionierte. Doch sie funktionierte. Sogar jetzt, wo Ilio so oft schwieg und sich vor ihren Augen veränderte, verstanden sie sich im Bett noch immer prächtig. Übrigens nicht nur im Bett. Mit einem wohligen Schauer erinnerte sich Maya daran, wie sie davongelaufen waren wie ein jung verliebtes Paar, an die Gelüste, die ihn manchmal im Büro überkamen, an das Domina-Spiel, an das Damen-WC in einem japanischen Restaurant während eines langweiligen Gipfeltreffens mit saudischen Würdenträgern … Und somit war es ausgeschlossen, dass er eine Geliebte hatte. Ilio war treu. Wenn er ihr doch bloß mehr vertrauen würde! Wenn er sich doch endlich bewusst geworden wäre, dass sie die Tochter des Gründers war, und zwar nicht nur, weil sie der Gründer in die besten Schulen geschickt hatte, ihr eine anspruchsvolle Bildung hatte angedeihen lassen, ihr Möglichkeiten geboten hatte, von denen ein Mädchen nur träumen konnte … wenn er bloß begriffen hätte, wie ähnlich sie einander im Grunde waren: der Gründer, sie, sein Fleisch und Blut, und Ilio selbst …
Maya schnappte sich einen Portier und ließ sich noch eine Zigarette geben. Diese war dunkel, ohne Filter,
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