Schmutzige Haende
Öffentlichkeit. Argenti glaubte an die Politik. Das politische Tagesgeschäft hatte ihn gelehrt, den Enthusiasmus abzulegen und sich der beständigen Disziplin des Möglichen zu verschreiben. Argenti misstraute Gruppen, Grüppchen und Bewegungen. Wenn sich jemand das Recht herausnahm, im Namen der Zivilgesellschaft zu sprechen, gingen ihm mörderische Gedanken durch den Kopf. Er kannte die italienische Gesellschaft nur allzu gut. Brutal, wäre das passende Wort gewesen, nicht zivil. Veränderung also. Die Partei hatte beim Namen begonnen. Dem Begriff kommunistisch haftete mittlerweile etwas Unheimliches an. Einmal hatte Argenti einen polnischen Intellektuellen kennengelernt. Die Mauer war gerade gefallen. Der Pole berichtete ausführlich über die Schrecken des Kommunismus, die er am eigenen Leib erfahren hatte.
„Ihr habt davon gewusst, Genosse Argenti. Und ihr habt keinen Finger gerührt.“
„Bei uns war es anders“, verteidigte er sich mit einem gewissen Unbehagen. „Bei uns war die Partei eine gute Sache.“
„Etwas Schlechtes in Warschau kann in Rom nichts Gutes sein, Genosse.“
Ach, wenn sie sich doch früher freigespielt hätte, wenn sie entschiedener verurteilt hätte … Aber dafür war es nun zu spät. Jetzt gab es andere Probleme. Die Veränderung der Partei färbte auf gefährliche Weise auf die Menschen ab. Das Übel der Zentralorganisation hatte jedoch auch einen unbestreitbaren Vorteil: Man konnte anonym handeln, man konnte sich als Teil eines größeren Plans fühlen. Man konnte sich, ja warum es verleugnen, einer Art Kirche ohne klerikale Eigenschaften zugehörig fühlen. Gut, diese tröstliche Interessengemeinschaft war das berühmteste Opfer der Veränderung, oder zumindest das Opfer, das er am lautesten beklagte. Die sture Hingabe der alten Genossen konnte man belächeln. Aber die Entwicklung, die sich vor Argentis Augen abspielte, übertraf bei Weitem seine pessimistischsten Erwartungen. Eine wahrhaftige Comédie humaine im Zeichen des Opportunismus und der Feigheit, des Kompromisses, des entfesselten Karrieredenkens. Die Genossen witterten das Aroma der Macht und arbeiteten mit den Ellbogen. Und Leute wie Scialoja hatten begriffen, dass sie bereit waren. Also zu allem bereit? Bereit, Geschäfte mit der Cosa Nostra zu machen?
Der Senator war müde.
Es war Sonntag.
Und er hasste Sonntage.
Er war ungerecht zu Beatrice gewesen, aber er liebte Beatrice, ihr langes Haar, in dem sich die untergehende Sonne spiegelte. Er küsste sie auf den Hals.
„Tut mir leid.“
Beatrice hob die Augen nicht vom Buch. Argenti blätterte mit gespielt zerstreuter Miene in einer Ausgabe der
Repubblica
.
– Was hältst du von
Basic Instinct?
– Den kannst du dir mit deinen Freunden ansehen, wenn du unbedingt willst.
– Schon gut, ich kapituliere. Also
Ein Herz im Winter
.
Bea quittierte den Triumph mit einem Lächeln und küsste ihn endlich.
Die Tochter des Gründers
1.
Vor der Ambulanz, unter den besorgten Blicken der Ärzte, die sie vor einer Stunde in den Rettungswagen geladen hatten, rauchte Maya nach achtzehn Monaten Abstinenz ihre erste Zigarette.
Maya rauchte und wartete. Sie wartete auf Ilio. Obwohl der gegen die Pappel geprallte Saab nur mehr ein Blechhaufen war, funktionierte das Bordtelefon noch. Typisch Ilio. Der atemberaubend schnelle Umstieg auf die jeweils neueste Technologie. Immer das Auto der allerneuesten und technisch ausgereiftesten Generation. Er wollte immer das Beste, und zwar für alle in seiner Umgebung. Ilio umgab sich mit Symbolen des gesellschaftlichen Erfolgs. Insgeheim gab man Maya, von der eigentlich der Reichtum stammte, zu verstehen, dass man ihn für einen fanatischen Provinzler hielt. Für einen, den der Erfolg korrumpiert hatte. Maya wusste, dass dem nicht so war. Hinter der Arroganz verbarg sich Unsicherheit. Und hinter der Unsicherheit die tiefe, schlitzohrige Zärtlichkeit, aufgrund deren sie sich auf den ersten Blick in ihn verliebt hatte.
Aber wo sie auch anrief, sie konnte ihn nicht finden.
Unter dem sorgenvollen Blick des Sanitäters, eines Studenten, der sie beschwor, sich wieder hinzulegen, und etwas von Knochenbrüchen daherfaselte, war es ihr endlich gelungen, mit Giulio Gioioso zu sprechen.
– Ich bin von der Straße abgekommen. Das Auto hat einen Totalschaden.
– Ich komme sofort.
– Nein. Such lieber Ilio. Um Himmels willen, Giulio, wo ist mein Mann?
– Ich tue alles, was in meiner Macht steht.
Und so wartete sie. Dem
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