Schmutzige Haende
krallte sich in ihre Muskel. Die Lähmung vergiftete ihren Willen. Sie würde nie wieder aufwachen. Nie …
Aber sie wachte auf. Ein Hammer trieb Nägel in ihr krankes Auge. Ein ständiger, ziehender, nicht nachlassender Schmerz. Stimmengewirr. Zitternde Schatten hinter den Binden auf ihren beiden Augen. Sie versuchte die Aufmerksamkeit der anderen auf sich zu lenken, spürte aber ihren Gaumen nicht. Vielleicht hatte man sie angelogen? Vielleicht war es etwas anderes, etwas Ernsteres? Sie konzentrierte sich auf die Stimmen, dem Schmerz zum Trotz, der jeden Funken ihrer Energie aufzusaugen drohte. Sie erkannte Ilios tiefe, kultivierte Sprechweise. Er unterhielt sich mit jemandem. Vielleicht mit Giulio Gioioso. Die Worte verstand sie kaum. Die Töne hingegen … In Ilios Stimme lag Wut und ein Hauch von Angst. Und Giulio … Giulio schien sich gegen irgendeinen Vorwurf zu verteidigen. Maya strengte sich an, um besser zu verstehen. Ein paar Worte sickerten zu ihr durch. „Sie verlieren schön langsam die Geduld“ … „ich will dich nicht mehr sehen“… Dunkel. Anspielungen. Das Gefühl von etwas Bedrohlichem, das kurz bevorstand, überkam sie. Sie wimmerte. Die Stimmen schwiegen. Geräusche von Schritten. Die kühle Hand Ilios auf der Stirn. Sein feuchter Kuss auf dem Hals. Maya glitt wieder in den Schlaf, gewiegt von seinen zärtlichen, tröstlichen Worten. Es wird alles gut, mein Liebling, alles gut.
3.
Vier.
Ilio Donatoni schwamm um die
Nostromo
herum: ein erschöpfter Walfisch, ein trauriger Delfin.
Die
Nostromo
, seine
Nostromo
, die in einem winzigen Seitenarm des Meeres vor Anker lag, in Sichtweite der Küste. Die
Nostromo
. Geschaffen, um mächtig und leicht über grenzenlose Meere zu segeln.
Ilio Donatoni hatte beschlossen, dreißig Mal um das Schiff herumzuschwimmen. Sein Schiff mit gestrichenen Segeln. Sein von dumpfen Notmotoren in den Hafen geschlepptes Schiff: Giulio Gioioso litt an Seekrankheit. Giulio Gioioso war der Ehrengast. Giulio Gioioso hatte versucht, Maya umzubringen. Giulio Gioioso hatte Maya leiden lassen.
Fünf.
Am Heck plauderte Giulio Gioioso über das Tyrrhenische Meer. Die alten Tyrsener. Unübertroffen beim Errichten von Türmen. Hervorragende Seeleute. Eifersüchtige Hüter des Geheimnisses der Bronzeerzeugung.
Am Heck erholte sich Maya von dem chirurgischen Eingriff und schlürfte eisgekühlten Champagner. Am Heck lauschte die Kleine, seine Tochter, hingerissen den spontanen Ausführungen des Redners.
Sechs.
Was für eine Idee, dieser Badeausflug außerhalb der Saison, hatte Maya gesagt.
Zieh dir wenigstes den Neoprenanzug an, hatte Gioioso geraten.
Wirklich, was für eine Idee!
Im letzten Monat: Zwei Baustellen in Petralia Soprana waren geschlossen worden. Vier Bagger verschwunden. Drei Schaufellader am unteren Ende einer Böschung gelandet. Ganze Belegschaften streikten. Die Ausschreibung für den Bau eines Gerichtsgebäudes irgendwo, Sizilien, Italien, verloren wegen einer Bagatelle von ein paar Millionen. Massenhafte Kündigungen von Bauführern. Viggianò hatte ein Paket mit einem verwesten Schafskopf erhalten.
Und Mayas Unfall. Eigentlich hätte er im Auto sitzen sollen. Giulio Gioioso hatte geweint. Giulio Gioioso hatte geschworen, dass die Schuldigen zur Verantwortung gezogen werden würden. Giulio Gioioso hatte versprochen, dass er Maya beschützen würde wie … wie eine Tochter. Wie die Tochter, die er nie gehabt hatte. Giulio Gioioso war in Maya verliebt. Ihm den Schädel zerquetschen. Wie einer widerlichen Schlange.
Sieben.
Giulio Gioioso finanzierte ein Forschungsprojekt über die alten Tyrsener. Giulio Gioioso investierte in Kultur. Giulio Gioioso hatte seine Leidenschaft für die alten Tyrsener entdeckt, als er herausgefunden hatte, dass sie nicht ausgestorben waren, sondern sich in alle Himmelsrichtungen zerstreut hatten. Sie hatten die finale Schlacht verweigert und die Diaspora vorgezogen. Unter falschen Namen hatten sie Jahrtausende weitergelebt. Es gab sie noch immer, sie trugen unauffällige Nachnamen, gehörten vergessenen Ethnien an, ihre Wurzeln waren im Dunkel der Vergangenheit verloren gegangen. Das war ein Zeichen, sagte Giulio Gioioso. Ein Zeichen, dass das Ewige nie unterging.
Acht.
Im vergangenen Monat: überstürzte Flucht von Freunden und Verbündeten. Am Telefon nur Tonbanddienste. Sekretäre und Minister, die sich nicht in ihren Zimmern befanden, die gerade bei einer Versammlung, auf Geschäftsreise, im Bett, irgendwo waren, auf
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