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Schmutzige Haende

Schmutzige Haende

Titel: Schmutzige Haende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giancarlo de Cataldo
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holzgetäfelten Apartments hinter sich, in das Ingrid sie fürsorglich begleitet hatte, da streifte plötzlich irgendetwas Patrizias Bein. Sie schrie auf. Scialoja streckte instinktiv die Hand aus und bekam den Eindringling zu fassen. Es war ein
chip munk
, ein amerikanisches Eichhörnchen. Es blickte ihn halb wütend, halb ängstlich an. Es strampelte wie wild, um ihn zu kratzen.
    – Ist es nicht süß?, fragte Scialoja.
    Patrizia war bleich geworden, sie hatte die Fäuste geballt, zu Tode erschrocken.
    – Wir könnten es nach Italien mitnehmen!
    – Lass es frei! Ich bitte dich, lass es frei!
    – Aber warum? Behalten wir es hier bei uns im Warmen … es soll selbst entscheiden, nicht wahr?
    – Niemand kann selbst entscheiden, niemand! Lass es frei!
    Er trug das sich sträubende Tier zum Fenster, öffnete die Doppelglasscheibe und ließ es frei. In Windeseile war der buschige Schweif im dichten Laub eines amerikanischen Nussbaums verschwunden. Patrizia umarmte ihn. Scialoja legte sich neben sie aufs Bett. Er hatte sie noch nie so zerbrechlich, so verzweifelt erlebt. Er streichelte lange ihr Haar, bis der Schlaf sie übermannte.
3.
    Sonnenuntergang am Gianicolo. Unten im Tal gingen allmählich die Lichter der Ewigen Stadt an. Patrizia drückte die Arme eng an den Körper, wie jemand, der friert. Vielleicht hatte sie den Jetlag noch nicht überwunden. Oder vielleicht war es auch etwas anderes.
    Stalin versuchte ihr mit einer zugleich zärtlichen und besitzergreifenden Geste den Arm um die Schultern zu legen. Sie ließ ihn gewähren.
    – Ist irgendetwas nicht in Ordnung, Schatz?
    – Nein, alles in Ordnung. Vielleicht bin ich nur ein wenig müde.
    Oje. Irgendetwas war in Amerika passiert. Patrizia hatte ihm noch nichts Interessantes über ihre Reise mit Scialoja erzählt. Etwas war geschehen. Etwas, das sie Scialoja angenähert hatte und von ihm entfernt. Keine Frau ist imstande, völlig überzeugend zu lügen. Patrizia war da nicht anders. Er war zu weit gegangen. Er hatte die Hure überschätzt. Eine andere Möglichkeit wollte er gar nicht in Betracht ziehen: dass Scialoja unerwartete Qualitäten besaß, was den Faktor Mensch anbelangte. Er zwang sich, ruhig zu bleiben.
    – Tut mir leid. Aber ich habe mich so gefreut, dich wiederzusehen, nach so vielen Tagen!
    In ihren Augen leuchtete ein Funken Unsicherheit auf. Stalin demütig. Stalin nachgiebig. Stalin, der sich entschuldigte. Stalin bedeckte ihre Finger mit raschen Küssen. Er war stolz auf seine Fähigkeit, jede auch noch so kleine Lüge aufrichtig klingen zu lassen. Patrizia lehnte sich über einen wackeligen Lattenzaun und betrachtete die Lichter Roms. Der Herr hatte endlich begriffen, dass die Hündin zu weit weggelaufen war, und pfiff sie zurück.
    – Wann wirst du dieses Spiel beenden, Stalin?
    – Sobald ich bekommen habe, was mir zusteht!
    – Wann?
    – Bald, sehr bald!
    – Und dann?
    – Dann beginnt endlich unser wahres Leben!
    – Das soll ich dir glauben?
    – Du bist meine Frau!
    – In Maine habe ich einen gewissen Billy Goat kennengelernt …
    – Wirklich?
    – Ja. Scialoja sagte, er sei … eine Art Killer …
    Eine Art Killer? Ihn darauf zu reduzieren, war typisch für Scialojas kleinbürgerliche Mentalität. Er und Billy hatten sich 1985 kennengelernt. Ein Kommando unter Abu Abbas, einem Cousin Arafats, hatte ein Kreuzfahrtschiff gekapert. Nach langen Verhandlungen hatten sich die palästinensischen Kämpfer der italienischen Justiz ergeben: Davor hatten sie jedoch einen alten amerikanischen Juden im Rollstuhl heroisch hingerichtet, indem sie ihn vor den Augen seiner Frau ins Meer kippten.
    Man hatte Abbas in ein Militärflugzeug gesetzt, das ihn in Freiheit bringen sollte. Die Amerikaner hatten den Flug abgefangen. Das Flugzeug war auf der NATO-Basis Sigonella gelandet. Die Marines forderten die Herausgabe Abbas’. Bettino Craxi, der Regierungschef, hatte befohlen, eine Truppe bewaffneter Carabinieri gegen den mächtigsten Verbündeten Italiens zu stellen. Bettino Craxi hatte Eier.
    Die Amerikaner fletschten die Zähne: Vielleicht befand sich Abu Abbas tatsächlich in diesem Flugzeug. Die italienische Regierung heuchelte Erstaunen: Ihr irrt euch. Den Amerikanern trat Schaum vor den Mund: Wir sind uns sicher, dass Abu Abbas in diesem Flugzeug sitzt. Die italienische Regierung dementierte offiziell.
    Indessen rollte das Flugzeug über die Piste. Die Soldaten beider Parteien wurden nervös. Niemand wollte ein Feuergefecht. Niemand

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