Schmutzige Haende
jetzt die Strategie ändern werde, dass von nun an mit ganz anderen Vergeltungsmaßnahmen zu rechnen sei, dass man nicht länger nur einen bereits zum Abschuss freigegebenen Richter umlegen würde oder einen alten Freund, den am Leben zu halten sich nicht mehr lohnte … der Mafioso, der Trottel, der Hungerleider,
hatte sich nicht verständlich machen können
.
Und so war die Warnung im Nichts verhallt.
Und niemand hatte etwas bemerkt.
– Ach, was soll ich dir sagen? Wir haben einen Anfänger genommen, der nur Dialekt sprach. Den hatten wir gerade zur Hand. Aber nicht einmal ich wäre auf die Idee gekommen, dass man seinen Dialekt nicht versteht. Scheiße, Stalin. Bist du wirklich sauer auf uns?
– Ich? Überhaupt nicht! Ich möchte dir ein schönes Geschenk machen, mein Freund. Hör mir zu …
Während Stalin ihm erzählte, was er von Billy Goat erfahren hatte, genoss er den sich verändernden Gesichtsausdruck des Mafioso. Staunen. Ärger. Blässe. Verletzter Stolz. Es war ganz eindeutig, dass der junge Lo Mastro von alldem nichts wusste. Und sich fragte: Wem soll ich jetzt noch vertrauen? Und sich fragte: Was ist aus der Regel geworden, derzufolge ein Ehrenmann verpflichtet ist, in Gegenwart eines anderen Ehrenmannes immer die Wahrheit zu sagen? Hat es diese Regel jemals gegeben? Die, die davon wussten, haben uns geopfert wie Osterlämmer, während die amerikanischen Vettern zu ihnen sagten, macht nur, macht, und sie machten, ohne zu wissen, was sie machten. Und schlussendlich war passiert, was passieren musste. Und Stalin Rossetti legte ihm einschmeichelnd eine Hand auf die Schulter und sagte immer wieder zu ihm: Nur mir kannst du vertrauen, nur mir …
Angelino glaubte zu ersticken. Er ging auf den Balkon hinaus, zündete sich eine Zigarette an. Das Tal war in einen kranken, farblosen Dunst gehüllt. Es war kalt. Sollte die Cosa Nostra langsam in seinem Herzen sterben? Alle die, die früher oder später Kronzeugen geworden waren, hatten gesagt, dass nicht sie die Verräter waren. Dass die Cosa Nostra sie verraten hatte. Schaudernd nahm Angelino zur Kenntnis, dass er diese Leute allmählich verstand. Die Müdigkeit dieser Leute. Ich halte diese Leute nicht mehr aus. Fühlt man sich so, wenn man plötzlich Waise ist? Nur mir, nur mir kannst du vertrauen … sollte er sich in die Hände dieses Fremden begeben? War das sein Schicksal? Der Wind hatte die Zigarette zum Erlöschen gebracht. Ein Wind, bei dem es einen fröstelte. Angelino ging ins Haus. Mit einer wütenden Bewegung schleuderte Stalin Rossetti das Telefon gegen die Wand.
– Ich muss nach Rom zurück. Ich melde mich bald.
2.
Früh am Morgen verließ er das Haus. Er machte Einkäufe. Kam zum Mittagessen zurück. Am Nachmittag ins Kino. Am Abend bis spät in die Nacht vor dem Fernsehschirm, wo er womöglich sogar einschlief. Die Jungs, die Nachtdienst hatten, hatten nichts Interessantes zu melden. Camporesi hatte sie um elf abgelöst. Jetzt hockte er in einem Auto mit nicht behördlichem Kennzeichen. Sie war seit einer halben Stunde beim Friseur, wer weiß, wie lange sie noch brauchen würde. Ein lästiger Nieselregen fiel auf die Via Sabotino. Es war einer der Augenblicke, in dem die Nichtraucher die Raucher um ihr Laster beneiden. Eine Zigarette hätte wenigstens die Langeweile gelindert. So ging es nun schon seit zwei Tagen. Patrizia führte ein fast zu normales Leben. Ganz wenige Telefonate. Lieferanten, der Installateur. Eine befreundete Fotografin, die nicht zurückgerufen hatte, der TV-Sender, mit dem sie hin und wieder zusammenarbeitete, um die Aufnahme einer Fitnesssendung zu besprechen. Alles ganz normal. Alles viel zu normal. Oder alles schrecklich banal, weil viel zu wahr. War es ein Schlag ins Wasser? Patrizia erregte seinen Argwohn. Hinter der verführerischen Haltung spürte er die gefährliche Wildheit einer Raubkatze. Aber hin und wieder tauchte hinter der Wildheit irgendetwas Scheues und Wehrloses auf, das ihn beunruhigte. Wer war Patrizia wirklich? Scialoja hatte seinen Kopf wegen ihr verloren, dennoch hatte er seine weisen Ratschläge nicht zurückgewiesen. Seine weisen Ratschläge! Diese Frau erregte ihn, nicht mehr und nicht weniger. Diese Frau versprühte giftige Pheromone. Man konnte nicht mit ihr in einem Zimmer sitzen, ohne sich davon gesättigt zu fühlen. Camporesi begehrte Patrizia. Wenn er beweisen hätte können, dass sie falsch, verlogen, opportunistisch war … nun, dann hätte er nur ihr und Scialoja und auch sich
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