Schnabel, Andreas
Gespräch zu beginnen.
»Hier wirst du mich immer finden, wenn ich nachdenke«, sagte er leise.
»Darf ich mich zu dir setzen?«
Er strich neben sich den Sand glatt und machte eine einladende Bewegung. »Ich befürchte aber, dass es bei mir heute nicht mehr zu einer charmanten Konversation reichen wird.«
»Es geht mir nicht darum, mich zu amüsieren. Du bist der erste Mann in dieser für mich vollkommen neuen Welt, der mir so etwas wie Ehrerbietung entgegenbringt.« Sie setzte sich neben ihn. »Dafür möchte ich dir danken. »Und ich möchte mich entschuldigen«, fügte sie nach einer Weile hinzu.
»Wofür?«, fragte er.
»Dafür, dass ich dir das, wofür du bezahlt hast, nicht geben kann.«
»Nicht ich habe für dich bezahlt, sondern mein Onkel, Sheik Omar. Du bist sein Geschenk an mich.«
»Weißt du, was auf dem Preisschild stand?«
Er beobachtete sie aus dem Augenwinkel heraus. »Einhundert arabische Goldpfunde.«
»Ist das viel?«
»Der Garten meines Onkels ist groß. Ein einfacher Mann hingegen könnte davon nach einem angenehmen Leben selbst noch seine Klageweiber bezahlen.«
»Dann ist es viel. Was für eine Anerkennung.« Sie lächelte bitter. »Aber selbst das Hundertfache würde nicht reichen, um meine Liebe zu erkaufen.«
Yussuf nickte. »Dafür würde ich keinen Schekel ausgeben. Liebe muss man geschenkt bekommen, sonst wird sie ranzig wie Kamelbutter in der Sonne.«
»Das ist ein guter Vergleich.« Sie lachte auf, und er fand, dass es das schönste Lachen war, das er jemals gehört hatte. Wie schön musste es erst sein, wenn sie von Herzen entspannt und glücklich war.
»Was machst du überhaupt in dieser Welt, wenn es hier keinen Mann gibt, dem du deine Liebe schenken willst?«
»Ich wurde aus meiner Welt hierher entführt.«
Yussuf schwieg beklommen. Genau das hatte er befürchtet. »Bei Allah, das tut mir leid.« Ihm drängte sich eine weitere Frage auf, aber er hatte Hemmungen, sie ihr zu stellen.
Sie bemerkte seinen Konflikt. »Du willst sicherlich fragen, ob man mich missbraucht hat?«
Er nickte betreten.
»Ja und nein.«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Die, die es getan haben, würden es nicht so nennen, aber ja, ich wurde vergewaltigt.«
Er sah sie irritiert an. »Das musst du mir erklären.«
»Stell dir einmal vor, du würdest entführt werden und zum Verkauf angeboten. Man präsentiert dich nackt und in gebückter Haltung kaufwilligen Kunden.«
Yussufs Erschütterung war ehrlich. »Allein der Gedanke daran ist grauenhaft.«
»Und nun stell dir bitte vor, die interessierten Käufer würden sich hinter dich stellen, und der Reihe nach ihren Mittelfinger prüfend in deinen Anus stecken, weil sie feststellen wollen, ob du noch jungfräulich bist. Würdest du dich vergewaltigt fühlen?«
Mit beiden Händen hielt er kopfschüttelnd seinen eigenen Mund zu, um sein Entsetzen nicht in die Nacht zu brüllen. Es dauerte eine Weile, bis er sich gefasst hatte.
»War es jemand vom Stamme der Al Madgier, der dich so gedemütigt hat?«
»Warum willst du das wissen?«
»Weil ich ihn dann töten werde.«
»Und was wäre damit gewonnen? Würdest du damit auch meine Erinnerung an diese furchtbaren Erlebnisse auslöschen?«
»Wie soll das gehen? Aber wenn es einen Weg gibt, dir dabei zu helfen, zeige ihn mir.«
»Nutze deinen Einfluss in diesem Stamm, um zu verhindern, dass es anderen Frauen ebenso ergeht wie mir. Das wäre für mich die größte Wiedergutmachung.«
Ihre Worte dröhnten in seinem Kopf. Wie sollte er das anstellen? Für ihn war es völlig ungewohnt, Probleme der Ehre gewaltlos zu lösen. »Ich denke, es wird etwas dauern, bis ich wirklich verstehe, wie du das meinst.«
Er bemerkte, dass sie in ihrem dünnen Umhang fror.
»Darf ich dich einladen, mit unter meine Felldecke zu kommen?«
Sie dachte offenbar darüber nach, konnte sich aber zu keinem eindeutigen Ja durchringen. Yussuf spürte diesen inneren Kampf. Er erhob sich, trat hinter sie und setzte sich so, dass seine Beine links und rechts ihren Körper umschlossen. Dabei öffnete er seine Arme und umfasste sie von hinten, sodass sie beide in die warme Decke eingehüllt waren. Er fühlte ihren eiskalten Rücken an seiner warmen Brust und war glücklich, dass sie seine Nähe zuließ und sie anscheinend sogar ein wenig genoss.
*
»Es ist immer wieder erstaunlich«, murmelte Berger auf der Rückfahrt von Palma nach Santanyí, »wie dunkel es hier im Gegensatz zu Deutschland nachts sein kann.« Die Autobahn
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