Schnabel, Andreas
Spitznamen »der lautlose Schlachter« weg. Er hatte sich darauf verlegt, den Kehlkopf der an den Pfoten gefesselten Tiere zu ertasten und durch einen einzigen ausgeklügelten Stich mit einem scharfen Spargelmesser die Stimmbänder zu durchtrennen. So konnte er, von weiteren Schmerzensschreien unbehelligt, die Fleischerhaken zwischen Achillessehne und Knochen einhaken und die Tiere mittels eines Flaschenzuges mit dem Kopf nach unten über den Bluttrog hängen. Wenn sie dann vor ihm schwebten, nur noch zu einem verzweifelten Röcheln fähig, genoss er es, ihnen langsam die Kehle durchzuschneiden und sich, während sie ausbluteten, an ihrem wirren Blick und den immer schwächer werdenden Zuckungen zu weiden. Dabei pflegte er das Arbeiterkampflied, die »Internationale« zu summen.
Aus Erfahrung wusste Erwin die Blicke eines Schweins genau zu deuten. Er wusste, wo und wie er den am Haken hängenden Geschöpfen mit seinen Messern Schmerzen bereiten konnte, und er tat es, wann immer er sich unbeobachtet fühlte. Wenn er schlachtete, war das Fleisch immer etwas wässrig, aber ausgesprochen zart. Das lag am hohen Adrenalingehalt. Den Trick hatte er sich bei den Chinesen abgeschaut. Da die hausgemachte Wurst der LPG weit über den Kreis hinaus begehrt war, wurde bald täglich geschlachtet.
Mit siebzehn war Erwin klar geworden, dass ihm Schweine, egal wie sehr und wie lange er sie auch quälte, keine Befriedigung mehr bereiteten. Bald darauf war eines schönen Tages die »dumme Trude« mit den Riesentitten spurlos verschwunden. Waltrud Mundt, wie die Magd wirklich hieß, war zu diesem Zeitpunkt dreiunddreißig, geistig behindert und auf der ganzen LPG beliebt. Bei den Männern deswegen, weil sie mit ihrer ungehemmten und geradezu unstillbaren Libido alles Maskuline bei Laune hielt, und bei den Frauen, weil ihre Kerle auf diese Weise kein Geld für den Puff ausgaben.
Am Tag, an dem Trude verschwunden war, hatte Erwin zum ersten Mal ein Lächeln im Gesicht gehabt. Er wusste nun, was es heißt, wirkliche Lust zu empfinden.
Trudes Verschwinden war nur kurz von der Volkspolizei untersucht, die Akte Mundt danach für immer geschlossen worden. Nie wieder hat man auf der LPG von ihr gesprochen. Man erinnerte sich jedoch noch lange daran, dass die Bordelle in der Gegend ein Wirtschaftswunder erlebten und dass die Wurst in dieser Zeit eine leicht süßliche Note hatte. So gut war sie nie wieder.
Die Einzigen jedoch, die Erwin Krauses saubere Arbeit wirklich zu würdigen gewusst hatten, waren die Herren der Stasi. In den DDR -Gefängnissen waren Mitarbeiter mit derart ausgefeilten Fähigkeiten höchst willkommen, und schon bald nach Erwins Anstellung hatten bei den politischen Gefangenen die sagenhaftesten Geschichten die Runde gemacht. Sie handelten von »Folter-Krause«, dem »summenden Schinder« und seinen immer ausgefallener werdenden Methoden. Mit ganz wenigen Ausnahmen entsprachen alle der Wahrheit.
El Padrón alias Bonifac Diaz alias Jacques Betrand alias Norman Foster oder auch einfach nur Erwin Krause ließ sich von seinem ständigen Begleiter den Rücken massieren, als das Satellitentelefon klingelte. Mit nur einem Tastendruck stellte er es auf »laut hören«.
»El Padrón?«, tönte es aus dem Lautsprecher.
»Sí.«
»Auf dem Golfplatz ist etwas schiefgelaufen. Irgendwas war im Beton, was ihn nicht aushärten ließ. Beim Abtragen haben sie die Leiche des Franzosen gefunden.«
»Das ist ausgesprochen unschön.« Er seufzte. »Da er mit Sicherheit keinen Selbstmord begangen hat, wird er den Gerichtsmedizinern nur Arbeit machen. Die sollten wir ihnen abnehmen.«
»Haben Sie da eine bestimmte Vorstellung, Padrón?«
»Aber natürlich. Eine Kühlkammer kann durch gezielte Maßnahmen ganz schnell zum Backofen werden. Die Franzosen sind für ihre Nouvelle Cuisine bekannt. Servieren wir ihnen ihren Landsmann doch flambiert.«
»Done?«
»Well done.«
*
Dr. Garoix, der Gerichtsmediziner, hatte große Probleme, García Vidal ans Handy zu bekommen, da er ständig telefonierte. Endlich gelang es ihm doch.
»Señor Comisario, ich habe etwas Ungewöhnliches entdeckt. Bei der Obduktion Ihrer Wasserleiche habe ich feststellen können, dass die Stimmbänder des Mannes durchtrennt wurden. Und ich hatte Ihnen doch schon von einem anderen Fall erzählt, bei dem mir das aufgefallen war, vielleicht erinnern Sie sich.«
»Ich erinnere mich, Sie hatten das als Reanimationsverletzung nicht weiter untersucht. Kann das denn auch
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