Schnabel, Andreas
reiste nie allein. Serge Gaugin, sein durchtrainierter, gut und gern fünfunddreißig Jahre jüngerer Mann, begleitete ihn auf Schritt und Tritt. Gaugin hieß eigentlich Peter Schulz und stammte aus Wismar. Als Achtzehnjähriger war er, gleich nach der Wende, zur Fremdenlegion gegangen, bei der er seinen heutigen Namen erhielt, und hatte sich dort für zwanzig Jahre verpflichtet. Die Legion hatte den eigentlich sehr liebevollen jungen Mann gelehrt, auf Befehl mit einer derartigen Rücksichtslosigkeit, Kälte und Effektivität zu töten, dass selbst dem Padrón hin und wieder ein kalter Schauer über den Rücken jagte. Sie hatte ihn vom Menschen zur Bestie gemacht.
El Padrón liebte alles Schöne, befriedigen konnten ihn schöne Menschen aber nicht. Wirkliche Lust empfand er nur beim Anblick gequälter Menschen. Er brauchte vor allem ihre Blicke, wenn sie litten. Das war für ihn schon seit seiner Kindheit Passion.
El Padrón alias Bonifac Diaz alias Jacques Betrand alias Norman Foster war 1946 als Erwin Krause in Scharnewanz zur Welt gekommen, einem kleinen Kaff zwischen Wismar und Rostock. Er war der schmächtigste und jüngste der acht Söhne des LPG -Vorsitzenden und Schweinewirtes Franz Krause gewesen und hatte selbst als Kind niemals gelächelt.
»Ooch bei die edelste Sahne kann mal een Micker dabei sein«, hatte sein alkoholisierter Vater immer gegrölt, wenn er ihm begegnete. Es war selten, dass Vater Krause bei einem dieser zufälligen Treffen nüchtern war und der Junge nicht geschlagen wurde. So entwickelte das schmächtige Kerlchen eine Strategie, seinem Vater so gut wie gar nicht mehr zu begegnen. Es bereitete Erwin größtes Vergnügen, stattdessen aus der Ferne zu beobachten, wie der Alte die anderen Krauses durchprügelte. Mit Erwin hatte er acht Söhne und zwei Töchter von sechs verschiedenen Frauen, und alle lebten und arbeiteten sie auf der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft Wilhelm Piek. Da dort ausschließlich Schweine produziert wurden, nannte man die LPG überall nur »Wilhelm Quiek«.
Im Hause Krause drehte sich also alles um das Schwein, und wenn nach Feierabend der Korn reichlich floss, wurde dementsprechend herumgeferkelt. Dafür musste alles, was weiblich war, herhalten. War der Promillegehalt erst einmal erhöht, wurde von Erwins Vater und Brüdern zwischen der angestellten Mästerin und der eigenen Tochter oder zwischen Magd und Schwester keinerlei Unterschied mehr gemacht. Zur Not mussten sogar die Säue dran glauben, und wenn die gerade geferkelt hatten, war Erwin gut beraten, seinen eigenen Hintern in Sicherheit zu bringen. Es gelang ihm nicht immer.
Aufgrund seines zarten Wuchses war Erwin von so gut wie allen Arbeiten im Haus und auf dem Hof befreit und konnte dem nachgehen, wozu er Lust hatte. Mangels Begabung hatte er aber eigentlich zu gar nichts Lust. Es sei denn, es wurden Ferkel kastriert. Diese Arbeit liebte er. Er konnte sich gar nicht sattsehen, wenn die kleinen, quiekenden Ferkelchen kopfüber in einen Trichter gestopft und ihre zappelnden Hinterbeinchen auseinandergerissen und mit Klemmschellen fixiert wurden. Er genoss den panischen Blick der Tiere, in dem so unendlich viel Schmerz lag, wenn ihnen schließlich mit einer alten Schere ohne jegliche Betäubung das Scrotum geöffnet, die Hoden herausgedrückt und weggeschnitten wurden. Mit neun Jahren durfte Erwin bei diesem blutigen Handwerk endlich selbst mitwirken, und er war keine zehn Jahre alt, da hieß man ihn bereits Meister seines blutigen Fachs. Mit zwölf durfte er beim Entsamen der Eber helfen. Dabei wurde den Tieren eine dicke Elektrode in den After gesteckt und ihre Prostata so lange mit elektrischen Impulsen gereizt, bis sie ejakulierten. Mit dreizehn durfte er zum ersten Mal selbst schlachten. Das war natürlich inoffiziell. Die LPG produzierte ja fast ausschließlich für West-Devisen. »Wilhelms Quieker werden nicht geschlachtet, sondern gesprengt«, hieß es überall. »Das Fleisch fliegt in den Westen, die Knochen nach Polen, und die Scheiße bleibt für die Arbeiterklasse.« Da Krause aber die Erfahrung gemacht hatte, »dass die Weiber für ’ne jute Wurscht allet machen und für ’nen ordentlichen Schinken sogar ihre Tochter mitbringen«, wurde auch heimlich geschlachtet, und zwar oft. Und dabei ging Erwin geradezu virtuos vor. Allerdings störte ihn das nervige Quieken der Tiere, die ihre Qualen beim Todeskampf immer wieder laut herausschrien.
Mit vierzehn hatte Erwin dann den
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