Schnabel, Andreas
Eben hatte er noch ungerührt Sprüche geklopft.
»Ist es auch. Jede Menge Calziumhydroxid, noch viel mehr Ruß und ein Eimer voller Knöchelchen.«
Carmen überlegte kurz, dann ergriff sie das Wort. »Ich spreche wohl für die Kolleginnen und Kollegen der einzelnen Mordkommissionen, wenn ich sage, dass es uns ganz recht wäre, wenn davon nichts an die Presse ginge. Da ich nicht glaube, dass eine Leiche aus Verzweiflung eine Selbstkremierung durchgeführt hat, tippe ich auf Brandstiftung zum Zwecke der Vernichtung von Beweisen.«
Alles nickte betroffen.
»Und dass den Tätern dies auch eindrucksvoll gelungen ist«, fuhr sie fort, »muss man die Herrschaften ja nicht noch durch entsprechende Schlagzeilen wissen lassen.«
»Und was wollen Sie denen sagen?«, erkundigte sich der Direktor.
»Dass es gebrannt hat. Es kann auch ruhig Brandstiftung gewesen sein. Es muss aber betont werden, dass von der Feuerwehr alle Leichen noch intakt gebogen werden konnten. Und dass nach einer Bereitstellung von Kühlcontainern auf dem Hof des gerichtsmedizinischen Instituts die Arbeit sofort wieder aufgenommen werden konnte.«
Der Direktor schien darüber nicht sehr glücklich zu sein. »Aber wenn die Brandstifter das lesen, werden sie vielleicht überprüfen wollen, ob wirklich Container gekommen sind.«
»Es werden ja auch welche dort sein. Sie haben sie selbst bestellt, Direktor.« Sie lächelte ihn freundlich an. »Und zwar in der Absicht, dass wir bereitstehen, wenn die Kerle auch die Container abfackeln wollen. Ich verstehe Ihre Idee doch richtig?«
Der Direktor nickte heftig. »Ja, so habe ich mir das gedacht.«
Es ertönte zustimmendes Gemurmel. Der Chef war mit sich so sehr zufrieden, dass ihm völlig entging, dass diese Anerkennung ausschließlich Carmen galt.
*
Yussuf und Annmarie saßen beim gemeinsamen Frühstück, als Yussufs Handy klingelte. Zuerst schien er sich dem Tonfall nach gegen etwas zu verwahren, doch sein Widerstand schwand mit zunehmender Gesprächsdauer. Das Telefonat dauerte fast eine Viertelstunde, und Yussuf wurde immer fahler im Gesicht. Nachdem er aufgelegt hatte, wirkte er wie ein Häuflein Elend.
»So ähnlich sehen Söhne aus«, versuchte Annmarie zu scherzen, »die gerade enterbt wurden.«
Er war verblüfft. »Kannst du Arabisch?«
»Nein, kann ich nicht. Ich wollte dich nur aufmuntern.«
»Du ahnst gar nicht, wie nah an der Realität du mit dieser Annahme bist.«
»Dein Vater hat dich doch nicht wirklich enterbt?«
»Nein, noch nicht. Mir wurde noch eine Chance gegeben, es zu verhindern.«
»Die da wäre?«, fragte Annmarie ahnungsvoll. Sie spürte, dass sie der Grund für den Ärger war.
»Zunächst mal darf ich dir nichts von all dem erzählen. Gegen Mitternacht will dich mein Vater von der Militärpolizei abholen und in irgendein Feldlager bringen lassen.«
»Und was soll ich da?«
»Dort würde die Truppe dann eine Nacht lang ihren Spaß mit dir haben, um dich danach in der Wüste zu verscharren.«
Sie schluckte. »Er will mich also verschwinden lassen. Warum?«
»Er fürchtet deine neu gewonnene Nähe zur Zivilisation. Es wäre nicht auszudenken, meinte er, wenn dir hier in Oman die Flucht in eines der europäischen Konsulate gelänge.«
Sie griff zur Teetasse und versuchte, einen Schluck zu trinken. Dabei zitterte sie so sehr, dass sie die Hälfte verschüttete. »Was hast du geantwortet?«
»Ich habe ihm gesagt, dass ich dich lieber selbst töten werde.«
Bisher hatte sie bewundernswerte Stärke bewiesen, doch nun verließ sie mit einem Mal all ihre Kraft, vor allem aber jegliche Zuversicht. Verzweifelt sackte sie in sich zusammen und weinte hemmungslos.
Yussuf setzte sich auf den Stuhl neben ihr und schloss ihren bebenden Körper in die Arme. »Jetzt weiß ich, dass mein Vater auch mein gefährlichster Feind ist.«
»Yussuf«, protestierte Annmarie, »du sprichst von deinem Vater.«
»Ich spreche von einem Sklavenhändler, der zufällig mein Vater ist.«
»Und woher weißt du, dass dein Onkel nicht auch dahintersteckt?«
»Hätte er uns sonst ziehen lassen?« Er schüttelte den Kopf. »Annmarie, gestern, als wir zusammen in der Oase badeten«, flüsterte er beschwörend in ihr Ohr, »wurdest du zu meiner Schwester. Wärst du nur ein normales Weib, würde ich dich weggeben und vielleicht sogar auch töten, aber für meine Schwester werde ich kämpfen – und sterben, wenn es sein muss.«
»Wie willst du das denn machen? Yussuf gegen den Rest der algerischen
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