Schnabel, Andreas
algerisches Nationalgericht. Suppe mit gekochten Augen vom Hammel. Willst du mal probieren?«
Sie wehrte ab. »Ich danke, aber Hammel mag ich nicht. Ich habe schon mit dem Rest des Tieres Probleme, da werden mir die Augen nicht unbedingt schmecken.«
Kurz darauf hielten sie vor einem Juwelier, dessen Laden die im arabischen Raum traditionellen Armreifen aus Gold anbot. Yussuf kaufte fünf Stück, nahm Annmaries Hand und streifte die Ringe über ihr Handgelenk.
»Was soll das denn? Wird das Vieh für seinen Schlächter geschmückt?«
»Das kannst du sehen, wie du willst. Nur wirst du hier in Algerien ganz ohne Goldschmuck keinem Menschen glaubhaft versichern können, dass du verheiratet bist. Vielleicht kann dich das vor Üblem schützen.« Er lächelte sie verlegen an. »Und wenn du sie bei dir zu Hause trägst, wirst du vielleicht hin und wieder an mich denken.«
Sie sah ihn traurig an. »Ich hatte eigentlich gehofft, dass du mitkommen wirst.«
»Ich würde es mir wünschen, aber Fahnenflucht kommt für mich nicht in Frage. Mir würden automatisch alle Lizenzen, die bei einer ehrenhaften Entlassung erhalten blieben, aberkannt werden. Das Fliegen ist aber meine ganze Leidenschaft. Ein Leben ohne ist für mich nicht denkbar. Ich werde daher versuchen, meinen Dienst auf legalem Wege zu quittieren.«
Annmarie hatte dafür Verständnis. Lächelnd sah sie auf die Armreifen an ihrem Handgelenk. »Ich danke dir für dieses schöne Geschenk.« Sie gingen eine Weile schweigend nebeneinander her. »Ich hoffe wirklich, dich irgendwann einmal bei mir zu Hause begrüßen zu können. Wie gesagt, unsere Rettungshubschrauber brauchen immer tüchtige Piloten. Vielleicht könnte Hakim auch kommen, dann könntet ihr beide endlich auch offiziell als Paar leben.«
»Das wäre zu schön, um wahr zu sein, doch ich bin mir nicht sicher, ob wir uns dazu durchringen könnten. Ich habe von Kindheit an gelernt, dass die süßesten Früchte verboten sind. Vielleicht ist es genau das, was sie so süß macht.«
Sie legte mitfühlend ihre Hand auf seine Schulter und wollte etwas Tröstendes sagen, doch er zuckte wie elektrisiert zusammen und entzog sich ihr.
»Willst du mich zum Gespött der Leute machen?«, zischte er sie böse an.
»Was habe ich denn getan?«
»Für einen Mann ist es in unserer Gesellschaft erniedrigend, in aller Öffentlichkeit Trost von einer Frau zu empfangen.«
Sie war bestürzt. »Aber ich wollte doch nur meine Anteilnahme …«
»Ein Mann«, fuhr er ihr ins Wort, »benötigt keine Anteilnahme von einer Frau, schon gar nicht auf der Straße!«
»Und sollte ein Mann dabei erwischt werden, wie er weiblichen Trost entgegennimmt, dann ist er bei seinen Freunden unten durch?«, fragte sie.
»Nein, bei den Frauen.«
Annmarie blieb stehen. »Um das wirklich zu begreifen, muss man wohl einer von euch sein, oder?«
»Ich bin einer von uns und begreife es manchmal selbst nicht.«
Damit wollte sie sich nicht zufriedengeben. »Ich will es aber begreifen. Fangen wir mal ganz klein an: Wer hat bei euch das Sagen, Mann oder Frau?«
»Ganz klar der Mann und sonst niemand.«
»Wo ist also das Problem?«
»Es ist deshalb kompliziert, weil sich ein Mann niemals für etwas entscheiden würde, was gegen den Willen seiner Frau ist.«
»Weil er sonst in seinem eigenen Zelt die Hölle hätte.«
»Richtig. So ist der Mann dazu gezwungen, auf die Bedürfnisse seiner Frau zu achten. Er darf sich aber gleichzeitig nicht von ihr sagen lassen, was er zu tun hat. Und vor allem darf niemand denken, dass er es tut.«
»So weit d’accord, aber wo bleiben die Bedürfnisse der Frauen bei eurer widerlichen Beschneidung?«
»Erstens, meine Liebe, ist das nicht nur ›unsere‹ Beschneidung. Leider fordern auch viele Frauen, dass ihre Töchter beschnitten werden. Und mit den sich ständig vermehrenden Fundamentalisten greift dieses widerliche Ritual, wie du völlig zu Recht sagst, immer mehr um sich. Du kannst mir glauben, dass wir Männer eine lustvolle Geliebte bevorzugen würden. Du weißt sicher selbst, was es für ein unglaubliches Gefühl ist, dem Partner, den man liebt, echte Befriedigung bereiten zu können. Wir wären doch bescheuert, wenn wir unseren Frauen die Libido wegschneiden würden. Die alten Weiber sind die treibende Kraft. Sie rächen sich an den Mädchen für das, was ihnen in ihrer Jugend angetan wurde, und demonstrieren damit ihre Macht innerhalb der weiblichen Gesellschaft. Welche Rache wäre da süßer, als
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