Schnabel, Andreas
Franzosen sind ja noch nicht einmal mehr in ihren eigenen Großstädten der Herr im Haus. Da haben schon längst algerische und marokkanische Banden das Sagen. Was wollen die dann hier auf Mallorca?«
»Fakt ist«, konterte Berger, »dass hier eine Bande auf eine ganz perfide Art und Weise zig Millionen abgestaubt hat. Wenn die wirklich Harems mit ›Frischfleisch‹ versorgen, werden sie entsprechend gute Kontakte zur nordafrikanischen ›Muselmafia‹ haben.«
Das leuchtete auch dem Comisario ein. »Angela, was meinst du, kommst du über deine Kontakte irgendwie an die Karteischränke der Fremdenlegion heran?«
»Vergiss es.« Sie trommelte mit ihren Fingern nervös auf der Tischplatte herum. »Selbst die Veteranen haben doch alle französische Pässe, Namen und Identitäten, die nichts mehr mit ihrer Herkunft zu tun haben. Diese Datei ist besser geschützt als Fort Knox.«
García Vidals Handy klingelte. Verwundert sah er auf das Display, es war eine ihm unbekannte Nummer. »Wer ruft mich denn nachts um drei noch an?« Er klappte das Telefon auf und meldete sich. Da sich seine Stirn immer mehr in Falten legte, gab ihm Berger ein Zeichen, dass er auf Lautsprecher stellen solle. Nach einem Tastendruck hörten alle mit.
»Wir haben die Nachricht auch eben erst bekommen.«
»Was war der genaue Inhalt?«
»Einer gewissen Annmarie Momperen, eine luxemburgische Staatsangehörige, die vor einiger Zeit von Mallorca aus nach Algerien entführt wurde, ist die Flucht gelungen. Sie befindet sich derzeit auf einer Fähre von Oran nach Alicante und soll morgen früh Spanien erreichen.«
»Das freut uns zu hören«, warf Berger ein. »Sie kann uns dann ja vielleicht bei der Aufklärung helfen.«
»Wenn sie überhaupt dort ankommt, Señor. Der Tippgeber aus Algerien befürchtet, dass die arme Frau auf dem gleichen Schiff nach Alicante unterwegs ist, mit dem sie nach Algerien entführt wurde …«
»… und dass sie darum womöglich nie das Festland erreichen wird«, vervollständigte García Vidal den Satz.
»Sí, Señor. Darum habe ich Sie gleich alarmiert, als der Anruf aus dem Konsulat der Luxemburger kam.«
»Und dafür danke ich Ihnen, Señor, wir werden sofort tätig werden.« Er klappte das Handy zusammen. »Das war Ewald Wirz. Die Frau, von der er sprach, steht auf unserer Liste der vermissten Personen.« Alles im Raum war für einen kurzen Moment sprachlos.
»Cristobal«, sagte Berger mahnend, »diese Frau Momperen könnte unser Joker bei diesem Spiel werden. Wir müssen sie unbedingt lebend von der Fähre bekommen.«
»Das sehe ich auch so, aber wie stellen wir das an?«
Berger überlegte. »Wir haben doch im vergangenen Jahr diesen Korvettenkapitän der Küstenwache kennengelernt.«
»Ja, Gómez Henriquez.«
»Wo ist der stationiert?«
»In Cartagena, soweit ich weiß.«
»Haben Sie eine Nummer von ihm?«
García Vidal nickte.
»Worauf warten Sie dann noch?«
*
Obwohl Annmarie vor Angst davor, wieder nach Algerien gebracht und erneut verkauft zu werden, fast verging, nickte sie in der Kojenecke, in der sie sich zusammengekauert hatte, immer wieder ein. Das stetige Stampfen der riesigen Schiffsmotoren war zu monoton, als dass sie sich lange gegen die bleierne Müdigkeit, die sie befiel, wehren konnte. Plötzlich aber war sie hellwach. Irgendetwas war anders. Sie horchte gespannt. Das Motorengebrumm schien anders zu sein. Die Drehzahl war verringert worden. Sollten sie etwa schon in Spanien sein? Es ging ein kurzer Ruck durch das ganze Schiff, und nun dröhnten die Maschinen lauter als je zuvor. Sie überlegte, was den Kapitän veranlasst haben könnte, Fahrt rauszunehmen, um danach erst recht Vollgas zu geben. Sie trat an das Kabinenfenster, das sich dicht über der Wasseroberfläche befand, und starrte in die Dunkelheit. Nein, sie konnten noch nicht da sein. Der neue Tag graute noch nicht einmal.
Dicht neben dem Schiff huschte ein Lichtkegel über das Wasser, dann war die Nacht wieder pechschwarz. Sie schreckte auf. Auf dem Kabinengang waren jetzt laute Stimmen zu hören, die immer näher kamen. Annmarie stürzte zu Tür und schob einen Riegel davor. Keinen Augenblick zu spät, denn jemand versuchte vergeblich, die Tür von außen zu öffnen, und rüttelte wie wild an der Klinke. Ein arabischer Wortschwall ertönte, der sich wie ein übler Fluch anhörte. Für einen kurzen Augenblick war Stille, dann krachte es, und die gesamte Tür wurde aus den Angeln getreten und flog durch die Kabine. Drei
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