Schnabel, Andreas
Anstatt sich auf die ihr winkende Freiheit zu freuen, überwältigte sie Panik. Sie setzte sich auf einen kleinen Stuhl, der neben einem für sie mit einem Abendessen gedeckten Tisch stand. Nachdem sie ein paarmal tief durchgeatmet hatte, sah sie sich in der kleinen Kabine mit den beiden Etagenbetten um. Sie hätte ein Jahresgehalt verwetten können, dass es sich um dieselbe Kabine handelte, in der man sie nach Algerien gebracht hatte. Damals hatte sie mit dem kleinen Diamanten ihres Ringes, der ihr von ihrem Vater zum Staatsexamen geschenkt worden war, versteckt von der Matratze ihres Bettes ihre Initialen in den PVC -Belag der Wand geschabt. Mit weichen Knien und zitternden Fingern erhob sie sich, legte sich halb auf das Bett und drückte die Matratze etwas von der Wand weg. Die beiden kleinen Buchstaben, die sie dort sah, versetzten ihr einen Schock.
*
Hakim stellte die Turbinen seines Sea-King-Helikopters ab. Er erkannte Yussuf, der ungeduldig am Hangar auf ihn wartete, und bemühte sich, den »Engine-Off-Check« mit seinem Kopiloten so schnell wie möglich durchzuziehen. Der Rest der Crew war damit beschäftigt, die beiden kleinen Boden-Luft-Raketen, die sie auf der Fähre an Bord genommen und auf diesem Weg ins Land geschmuggelt hatten, auf einen Armeelastwagen zu verladen.
Yussuf erkannte, als Hakim nach getaner Arbeit auf ihn zukam, sofort, dass etwas nicht stimmte. »Was guckst du so seltsam? Hast du sie aus Versehen ins Meer gekippt?«
»Nein, das wäre nicht so schlimm. Aber Nathan hat an Bord mitbekommen, wie einer der Matrosen, als er Annmarie sah, sagte: ›Was will denn die schon wieder hier? Die haben wir doch gerade erst rübergebracht.‹«
Yussuf gefror das Blut in den Adern. »Bei Allah, haben wir sie also erneut ihren Entführern ausgeliefert?« Sein Gesicht wurde bleich. »Wie konnte uns das nur passieren? Dein Bruder ist Kapitän auf diesem Schiff!«
Hakim winkte verärgert ab. »Das hat gar nichts zu sagen. Ein Kapitän muss nicht immer wissen, womit seine Seeleute handeln. Und selbst wenn mein Bruder dahinterstecken sollte, dann kannst du sie ja einfach wieder zurückkaufen. Sie wird zwar nicht mehr so neu sein wie jetzt, aber was interessiert dich das, du hast ja mich.«
»Was soll das Hakim, bist du eifersüchtig?«
Sein Freund ging nicht weiter auf die Frage ein, sondern ließ ihn kommentarlos vor dem Hangar stehen.
Yussuf machte sich betroffen auf den Weg zu seinem Appartement. Er wusste, dass Hakim nicht ganz grundlos eifersüchtig war, und überlegte fieberhaft, wie er Annmarie helfen konnte. Da hatte er eine Idee. Er kannte einen jungen Mann, der als Sekretär im französischen Generalkonsulat arbeitete. Er hatte ihn mal mitsamt seiner Ehefrau aus Seenot gerettet, und seitdem besaß er seine Karte. Yussuf grinste. »Jetzt kannst du deine Rechnung begleichen.«
*
Berger, Gräfin Rosa, García Vidal und Angela Bischoff saßen noch bis tief in die Nacht in der großen Wohnküche der gräflichen Finca und gingen immer und immer wieder jedes kleinste Detail der Ereignisse der letzten Tage durch. Obwohl alle das Gefühl hatten, etwas Wichtiges übersehen zu haben, ergaben sich keine neuen Erkenntnisse.
»Der Brandanschlag in der Gerichtsmedizin geht mir nicht aus dem Kopf«, sagte Angela. »Carbid als Brandbeschleuniger, das hatte ich irgendwo schon einmal gelesen. Also habe ich ein bisschen recherchiert. Bei einem Anschlag auf eines der Greenpeace-Schiffe wurde ich fündig. Die waren den Franzosen im Bikini-Atoll in die Quere gekommen. Es gab einen Brand durch Carbid, der das Schiff im Hafen zum Sinken brachte. Damals hatte der militärische Abschirmdienst der Franzosen die Finger im Spiel. Aber das war nicht der einzige Fall, auf den ich gestoßen bin. Es gab noch zwei weitere Brandstiftungen mit diesem Zeug, und auch dort wurden französische Interessen gewahrt.«
Der Comisario sah sie erstaunt an. »Willst du damit sagen, dass wir hier demnächst einen Angriff des französischen Abschirmdienstes zu erwarten haben?«
»Blödsinn. Ich will nur vorschlagen, den Brandstifter in diesen Kreisen zu suchen.«
»Das ist gar nicht so uninteressant, Cristobal«, griff Berger den Faden auf. »So, wie sich die russische Mafia aus ehemaligen Soldaten rekrutiert, holt sich die französische Unterwelt ihren Nachwuchs aus der Fremdenlegion. Haben wir eine Möglichkeit, den Computer am Flughafen mit der Ehemaligen-Datei der Legion abzugleichen?«
García Vidal war skeptisch. »Die
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